Wings of Courage Imax 3D

"StereoskopieDie stereoskopische Fotografie versucht durch zwei die Parallaxe der Augen nachvollziehende Fotos eine optische Raumerfahrung nachzuahmen. Die darauf beruhenden 3-D-Filmverfahren konnten sich wegen des technischen Aufwand bei Aufnahme und Projektion sowie filmästhetischen Hindernissen nicht durchsetzen." (James Monaco, Film verstehen)

Was zog über 700 Journalisten Ende Mai in den Kino- und Freizeitpark Futuroscope bei Poitiers. Es war mehr als ein neues, eindrucksvolles Imax-Kinogebäude, mehr als eine europäische 3D-Filmpremiere. Die kleinen Schritte im Überlebenskampf des Flugpioniers Henri Guillaumet auf der Leinwand stellen einen großen Schritt für die Entwicklung der Imax 3D-Kinos dar: Nach Tier- oder Naturdokumentationen ist "Wings of Courage" mit vierzig Minuten Länge der erste Spielfilm für dieses Verfahren. Erneut wiederholt sich Kinogeschichte: die Attraktion wird erwachsen, verbindet sich mit der Fiktion zum erzählenden Kino.

Story

Eine kleine Episode von Pioniermut und Risikobereitschaft gibt die Folie für das technische und ästhetische Experiment "Wings of Courage". 1930 die Zeit abenteuerlicher, erster Schritte der Passagier- und Frachtluftfahrt. Die "Compagnie Générale Aéropostale", eine Firma des Franzosen Antoine de Saint-Exupérys (genau, der Autor von "Der kleine Prinz"), fliegt Post von Südamerika nach Frankreich. Der wagemutige Henri Guillaumet (Craig Sheffer) übernimmt die problematische Anden-Route von Santiago de Chile nach Buenos Aires. Trotz Hagel und Sturm versucht der Pilot seine Post abzuliefern, stürzt ab und marschiert tagelang durch verschneite Hochgebirgsketten. Als Guillaumet sich aufgibt, macht ihm ein Traum klar, daß seine geliebte Frau Noëlle (Elizabeth McGovern) die Versicherungssumme erst nach dem Fund der Leiche erhalten würde. Seine Liebe treibt ihn weiter und der Held erreicht schließlich ein Dorf. Nach nur zehn Tagen fliegt er wieder für Aéropostale über die Anden.

Die zum Imax 3D-Projekt passende Pionier-Geschichte ist nachzulesen in Antoine de Saint-Exupérys "Wind, Sand und Sterne". Das Pilot-Projekt basiert auf solider Grundlage: Bekannte Darsteller, ein Oscar-Gewinner als Ko-Autor und Regisseur. Entgegen ersten Befürchtungen gleitet Jean-Jacques Annauds "Wings of Courage" nicht ins Heldenepos ab, was auch der Musik von Gabriel Yared zu danken ist. Die Umschnitte auf die Wartenden Noëlle und Saint-Exupéry (Tom Hulce), die Traumvorstellungen Guillaumets bringen zusätzliche Ebenen in den linearen Ablauf. Aber die Meinungen sind geteilt - Leonard Maltin zum Beispiel sah ein "lumbering, boring true-life adventure" - aber es geht ja vor allem um die 3D-Wirkung: Zuschauer wichen den Tragflächen vor ihrer Nasenspitze aus und schreckten vor Leuchtraketen zurück. In der Luft saß man zwischen den Flügeln, in der Bar zwischen den Tänzern. Trickreich inszenierte Innenräume erinnerten an Hologramm-Puppenstuben. Demonstrative Rückfahrten konnten immer wieder aufs Neue mit dem Raumeffekt verblüffen.

Tücken der neuen Technik

Annaud gab in Poitiers den Botschafter für Imax 3D: Begeistert, freundlich scherzend und bereitwillig erzählend. Er sieht sich als einen der Pioniere, die das Kino immer gebraucht hat. Die Verwertung seiner Erfolge "Am Anfang war das Feuer", "Im Namen der Rose", "Der Bär" oder "Der Liebhaber" machten ihn zu einem Fernsehautor, doch Imax 3D steigere die Attraktion des Kinos und sichere dessen Überleben. Die Arbeit an "Wings of Courage" erforderte eine vollkommen andere Vorgehensweise, ein "brainwash" seiner bisherigen Gewohnheiten hat bei Annaud stattgefunden. Mit Imax 3D befände sich das Publikum "innerhalb eines neuen Experiments", mit dem Fallen des Rahmens in einer verstörenden Situation, wie die Menschen, die vor hundert Jahren beim Lumière-Film "L'arrivée d'un train à La Ciotat" schreiend den Saal verließen. Annaud hat sich inzwischen - zwei Jahre nach der ersten 3D-Bildern - in den neuen Sehraum eingelebt. Auf die Frage, ob er mit dem Film zufrieden sei, verweist er auf den Erfolg (New York: 200.000 Zuschauer in den ersten vier Monaten - in einem Saal!) und betont, daß die Ausrüstung eigentlich noch nicht fertig war.

Die Dreharbeiten zeigten so ein Wechselspiel von faszinierenden Möglichkeiten und Einschränkungen. Produktionsberichte {Quelle: Zeit-Magazin - für IN} erzählen von dauernden Totalausfällen des Prototyps - einem riesigen schwarzen Kasten mit zwei Objektiven für zwei leicht verschobene Perspektiven. Für Annaud bot sich trotzdem erstmals die Möglichkeit, auf einer riesigen Leinwand den Menschen verschwindend klein gegen die Natur zu setzen. Doch das Format nimmt auch enorm genau auf. Markierungen und Kabel, die von schwächerer Auflösung bei 35mm kaschiert würden, seien jetzt genau zu sehen. "Imax 3D erfordert größte Sorgfalt bis in die kleinsten Winkel des Hintergrunds." Daraus folgert die Notwendigkeit eines kleinen, kontrollierbaren Sets, das wiederum mit der enormen Kamera kollidiert. Vierzig Minuten "Wings of Courage" erhoben sich mit der Hilfe von 15 Millionen Dollar.

Effekt und Stil

Seit der Stereofotografie funktionieren 3D-Simulationen nach dem gleichen Prinzip: Zwei leicht versetzt aufgenommene Bilder werden den Augen so dargeboten, daß diese sich einen Raum daraus machen - in Analogie zu den üblichen Seherfahrungen. Billige, rot-grüne Folienbrillen sind dabei passé. Polarisiertes Licht und dazugehörige Gläser sorgen bei Imax 3D dafür, daß jedes Auge nur sein versetztes Bild aus den zwei Projektoren erkennt. Die sind wiederum die lichtstärksten der Welt, damit die 600 Quadratmeter große Leinwand bis in die Augenwinkel erstrahlen kann. Dem Verfahren setzen jedoch Technik und Physik gleiche Grenzen wie dem menschlichen Blick. Denn auch das Auge sieht nur in einem bestimmten Bereich wirklich dreidimensional. Kommen ihm Gegenstände zu nahe, kann das Gehirn aus den zwei unterschiedlichen "Aufnahmen" der Augen keinen Raum mehr konstruieren: wir schielen. Auch bei großen Entfernungen sehen wir nicht mehr räumlich, obwohl wir uns den Unterschied und den Übergang nicht bewußt machen.

So spielt "Wings of Courage" mit dem Verfahren nur in einem Bereich von einem bis sieben Meter vor der Kamera. Zwischen Nahaufnahme und Totale bewegen sich die effektvollen Bilder, Details und Totale fallen flach. Annaud verzichtete gänzlich auf nahe Gesichter, die bei solch einen Sujet überlicherweise von Leid und Strapazen gefurcht (beim Helden) oder vom Warten und Weinen feucht (bei seiner Liebe) sind. Das große Bild (-Mittel) zu Übertragung von Affekten mußte den unbestimmten Effekten weichen. Technisch lassen sich hier die zwei Objektive einfach nicht nahe genug zusammenbringen, um das nötige Doppelbild zu erzeugen. Annaud meinte jedoch, niemand wolle 15 Meter hohe Nasen sehen und eine 3D-Detailaufnahme zeige einfach zu viel. Bei den Darstellern ist ein zweiter Verlust ihrer Aura zu konstatieren: Elizabeth McGovern als Noëlle Guillaumet wirkt noch viel zierlicher, zerbrechlicher als in "Es war einmal in Amerika." Ist es vorbei mit "bigger than life" für alle kleinen großen Stars?

Unverändert eindrucksvoll blieben die Gebirgspanoramen - auch ohne 3D-Wirkung. (Die Schneegipfel der Anden drehte Annaud nahe beim Hersteller der Kamera in den kanadischen Rockies.) Der Wechsel von effektvollen Szenen zu gewöhnlichen Aufnahmen stört allerdings enorm, besonders wenn die Geschichte selbst packend genug ist. Hier erfordert die neue Technik sanftere Übergänge - eine Erfahrung die beim Schnitt nicht so gemacht werden konnte. Denn für "Wings of Courage" standen noch keine speziellen 3D-Schneidetische zur Verfügung, von Dailys, täglichen Proben der Aufnahmen ganz zu schweigen. Selbst einen Sucher, der beim Drehen den Raumeffekt vermittelt, wurde erst gerade von Imax entwickelt. Hier entstand noch mal ein Film im Kopf des Regisseurs, weil auf einem Minisucher in 2D ein Produkt für 3D-Riesenleinwand kontrolliert werden mußte.

Kino der Zukunft?

Bei allem schönen Erleben bleibt die grundlegende Frage: Ist dieser Versuch, das Publikum in das Geschehen zu ziehen, nicht schon längst Geschichte? Ist Futuroscope mit all den Imax-Attraktionen ein Jurassic Park der ausgestorbenen Kinoriesen? Abgesehen davon, daß ein sehr gut gemachter Film die Zuschauer leichter, unauffälliger und tiefer mit(hinein)nimmt, als die nicht ausgereifte Technik; das Zauberwort der Zeit heißt Interaktivität! Mit dieser Beteiligung verdienen die Hersteller von Gameboy & Co. noch mehr als die amerikanische Medienindustrie.

Sony, der Produktionspartner von Imax für Projekte wie "Wings of Courage" geht jedenfalls beide Wege: In New York betreibt der Konzern (mit 1000 Leinwänden in den USA) sowohl ein Imax 3D als auch interaktive Kinos. Unter den internationalen Kooperationspartner von Imax fällt Sega, der Hersteller von Unterhaltungselektronik auf.

Günter H. Jekubzik


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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