Wilde Nächte

Fr/I 1992, (Les Nuits Fauves) Regie: Cyril Collard, 126 Min.

(K)ein AIDS-Film

"Wilde Nächte" von Cyril Collard

"Wilde Nächte" (Les nuits fauves) wurde vor einem Monat in Frankreich mit vier Cesars ausgezeichnet. Die tränenreiche Show gedachte dabei dem vier Tage vorher im Alter von 35 Jahren an AIDS verstorbenen Autor, Regisseur und Hauptdarsteller Cyril Collard. Obwohl es sicherlich wichtig ist, daß am Sterben durch AIDS öffentlich Anteil genommen wird, lassen sich die zahlreichen Qualitäten von "Wilde Nächte" nicht auf den Begriff 'AIDS-Film' reduzieren. Weit davon entfernt, das Leiden unter der Immunschwäche, die mehr als eine Krankheit ist, zu beweinen, gelang Cyril Collard ein faszinierender Film. Darin ähnelt die Haltung des Regisseurs der seiner zwiespältigen Figur. Jean lebt - die alte Frage: trotz oder wegen seiner Infektion - besonders intensiv und reflektiert seine spezielle Situation nur manchmal, wenn wieder eine Frau oder ein Mann an Jeans Haltlosigkeit bei Beziehungen verzweifelt.Das naive Mädchen Laura ist die Nächste. Ihre Hingabe gipfelt im geistigen Bungee-Sprung ohne Sicherheitsgummi "Mir wird nichts passieren". Es beginnt eine wahnwitzige amour fou mit all ihren schönen Zutaten und ungeheuer intensiv gespielten Szenen. Besonders Romane Bohringer, Tochter des Greenawayschen 'Koches' Richard Bohringer, läßt den Liebeswahn nuancenreich erleben. Die Position Jeans bleibt ambivalent, trotz einiger egozentrischer Schweinereien, sein Lächeln und seine Freundlichkeit besänftigen die Abneigungen.Auch filmisch glänzt "Les nuits fauves": Jump Cuts konzentrieren das Erleben. Das Geständnis der Infektion findet in klassischer Liebes-Szenerie statt, mit dem Eiffelturm im Hintergrund. Rasende Autofahrten durchs nächtliche Paris sind wild und aufregend geschnitten. Die ruhige Versöhnung Jeans mit dem Leben führt am Ende allerdings unweigerlich auf die autobiographische Schiene zurück. Unter dem Aspekt des Todes Cyril Collards ist es ein Filmabschied, ähnlich ergreifend wie der Abgang von Joris Ivens in "Eine Geschichte vom Wind".Harry van Leuken

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avz

Wilde Nächte

Das Geständnis vor dem Eiffelturm macht klar: Ein Liebesfilm. Allein der Text will nicht passen: Jean gesteht der jungen Laura seine Infektion mit dem HIV-Virus, seine Bi-Sexualität war bereits offensichtlich. Die naive Schönheit (hervorragend im Spiel der extremen Gefühle: Romane Bohringer) läßt sich mit Herz und ohne Kondom auf diese verrückte Liebe ein, sagt "Ich liebe dich - deshalb wird mir nichts passieren". Ihrer Treue setzt Jean ängstliche Unstetheit entgegen. Laura wandelt sich darauf zur Liebestollen. Samy, der beständigste Freund Jeans, driftet in den Sado-Masochismus und in eine faschistische Gruppe ab. "Wilde Nächte", stark autobiographisch von Cyril Collard geschrieben, inszeniert und gespielt, bleibt in der Wertung offen. Jean ist nicht einfach das Schwein, das alle seine Partner und Partnerinnen in den Tod treibt. Seine Zeichnung wirkt ehrlich und offen, reizt zum Abwägen und Nachdenken. Jeans (Bett-) Partner Laura und Samy sind einfacher, aber ihre Entwicklungen fesseln. Collard arbeitete mit einem unkonventionellen, frischen Stil. So verzichtete er zugunsten eines sehr intensiven, gefühlsgeladenen Spiels auf die Schnittkontinuität.Kurz nach seinem ersten, sehr erfolgreichen und mit vier Cesars ausgezeichneten Film "Wilde Nächte" starb Collard an den Folgen seiner Aids-Infektion. Dies gibt dem schwächsten Teil des Films, dem ruhigen, versöhnlichen Ende, eine besondere Bedeutung.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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