Wild Palms

Wir filmen das Jahr 2007. Oliver Stone wird im Fernsehen interviewt, nachdem endlich die Akten über das Kennedy-Attentat das Licht der Öffentlichkeit erblickten: "Fünfzehn Jahre nach JFK zeigt sich, daß ich Recht hatte. Es war eine Verschwörung der CIA." Hoffentlich behält Stone nicht auch mit seiner Fernsehproduktion "Wild Palms" recht. Die Visionen einer zukünftigen Medienwelt in dieser aufwendigen Mini-Serie des amerikanischen Senders ABC zeichnen eine bunte, weit entwickelte aber zutiefst pessimistische (Medien-) Welt.

Die Story von "Wild Palms" konstruiert noch einmal die typische Falle für einen Privatdetektiv der Schwarzen Serie: Der vor dem Höhepunkt seiner Karriere stehende Anwalt Harry Wyckoff will den vermißten Sohn seiner Jugendfreundin Paige ausfindig machen. Die Suche nach Söhnen und Vätern führt Harry zurück in seinen engsten Familienkreis, deckt eine inszenierte Königshochzeit, einen horrenden Machtkampf auf der höchsten Etage der Gesellschaft auf.Dabei geht es vordergründig immer noch um Wahlen. Die wahre Macht liegt allerdings in einem Chip, so wie die Zukunft im Imaginären liegt. 'Church Windows', die Familien-Serie des Senators Tony Kreutzer gibt einen Vorgeschmack vom Virtual Reality-Zeitalter: Endlich kommen die Helden unseres Fernsehabends als bewegte Hologramme wahrhaftig in die gute Wohnstube. Durch Einnahme von Drogen wird die dreidimensionale Projektion sogar gefühlsecht gemacht. Daß Überdosen zu Halluzinationen riesiger Kathedralen führen, ist nur die offensichtlichste Nebenwirkung. Um die gesellschaftlichen Folgen solcher Innovationen streitet die Väter-Sekte mit den 'Freunden' im Untergrund. Die sechs Stunden Fernsehen liefern dabei viel Denkstoff und öfters Gänsehaut.

"Wild Palms" ist zwar in der Struktur nur ein trivialer Machtkampf zweier Gruppen, doch der faszinierende Hintergrund neuer Mediendimensionen füllt mit seinen sozialen Begleiterscheinungen alle Lücken auf. So wiederholt sich im Kampf zwischen den etablierten Sendern und der aufkommenden Cyberspace-Technik die medienhistorische Auseinandersetzung zwischen Filmindustrie und Fernsehen. Ästhetisch sind die typischen Anachronismen einer filmischen Future-World zu verzeichnen: Stehkragen und Aktenlabyrinthe wie in Kafkas Prag vermischen sich mit Cyberspace im Brillenformat. Die sehr symbolträchtigen Bilder inszenierten unter anderem Kathryn Bigelow und Phil Joanou. Von den prominenten Darstellern fesselt besonders Angie Dickinson ("Dressed To Kill") mit einer abgrundtief bösen Rolle. Zum 'new realism', der Philosophie der medialen Trendsetter, gibt es Musik von Ryuichi Sakamoto und Liebeslieder der Pop-Ära.Harry van Leuken

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avz

RTL 2: Wild Palms

Von Günter H. Jekubzik

Das war tatsächlich Fernsehen der Zukunft auf RTL 2 am vergangenen Wochenende. Die Medienwelt tat das, was der Flimmerkasten seit vierzig Jahren verspricht: Sie trat ins heimische Wohnzimmer ein, bunt und dreidimensional. In "Wild Palms" eroberte das holographische Fernsehen die Köpfe einer futuristischen Gesellschaft. Jeder Sender wünscht sich, daß der Auftritt seiner Aushängeschilder berauscht und das Publikum abhängig macht, doch vielleicht nicht ganz so brutal, wie es die schockierende Zukunftsvision "Wild Palms" zeigte. Denn das einmalige, von Oliver Stone produzierte und mit Films-Stars reich bestückte Renommierprojekt inszenierte nicht nur gut nachvollziehbar Techniken der Zukunft. Es bot gleichzeitig eine unterhaltsame Familiensaga, politische Utopien, etwas Mediengeschichte, viele Ideen und vor allem Qualität. Gegen Angie Dickinson als teuflische Herrscherin verblaßten alle bisherigen Fernseh-Biester. Die fesselnde Ausstattung zauberte ein Jahr 2007 aus Requisiten der Vergangenheit. Eine spannende Handlung verband schlüssig das Wohnzimmer mit dem Fernsehsender und diesen mit der politischen Macht. Schön, in einer hervorragenden Fernsehproduktion etwas Neues über die Hintergründe des Mediums zu sehen.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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