Baby of Macon - Dreharbeiten

Von Günter H. Jekubzik

Peter Greenaway, der zur Zeit kreativste britische Regisseur, dreht seinen neuen Film "The Baby of Macon" in Troisdorf bei Köln. Nach so komplexen und innovativen Meisterwerken wie "Der Kontrakt des Zeichners", "Der Bauch des Architekten" und zuletzt "Prosperos Bücher", scheint "The Baby of Macon" ein ähnlich skandalträchtiger Leckerbissen wie "Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber" zu werden. Im Finale dieses Films mußte der Dieb die Leiche des Liebhabers verspeisen.

"The Baby of Macon", die von Schlemmer Film ausgeführte, internationale Koproduktion, zeigt den Aufstieg des Babys zur verehrten Heiligenerscheinung: In der Mitte des 15. Jahrhunderts, während Hungersnot, Epidemien und Kinderlosigkeit das französische Dorf Macon heimsuchen, wird dort ein kräftiges, kerngesundes Baby von seiner Schwester als gewinnbringender Fetisch herumgereicht.

Da Greenaway seine Filme immer nach bestimmten Ordnungen strukturiert, bleibt es auch diesmal nicht bei der einen Geschichte. In einer weiteren Handlungsebene wird sie als Moralstück auf die Bühne einer norditalienischen Stadt des Jahres 1659 gebracht. Das bunt zusammengewürfelte Publikum - unter ihnen der junge Prinz Cosimo Medici - spricht wie heute die Fans der "Rocky Horror Picture Show" lange Textpassagen des Schauspiels mit. Durch Bestechungen und Tricks versucht es, eine Rolle zu ergattern.

Es liegt auf der Hand, daß Peter Greenaway damit die Psychologie der (Kino-) Rezeption beschreibt. Das überlaufene Casting zu "The Baby of Macon", bei dem Tausende hofften, eine Nebenrolle im Film ihres Idols spielen zu können und sich selbst Journalisten 'einschlichen', ist eine aktuelle Parallele. Für die Statisten-Strapazen in der aufgestauten Sommerhitze der Troisdorfer Eissporthalle hat man sowohl den ausgemergelten Gestalten des 15. als auch den opulenten des 17.Jahrhunderts einen Hungerlohn von 25 Mark versprochen. Und im Hintergrund wimmelt es von jungen Leuten, die als Praktikanten ohne Bezahlung 'im Stück' mitwirken wollen.

Der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen ist die Beteiligung an "The Baby of Macon" im Rahmen der regionalen Filmförderung immerhin anderthalb der insgesamt sechs Millionen Mark Produktionskosten wert. Greenaways Begeisterung über eine unproblematische Finanzierung zeigt sich an zwei weiteren Spielfilmplänen in Nordrhein-Westfalen, darunter "Counting death", eine Art Fortsetzung seines Erfolgsfilms "Drowning by numbers" (Die Verschwörung der Frauen). Die Stadt Troisdorf bietet bei "The Baby of Macon" mit der Eissporthalle Ersatz für ein großes Filmstudio, das in Nordrhein-Westfalen nicht vorhanden ist und bemüht sich auch sonst, optimale Drehbedingungen zu schaffen. Wenn der Maler mit der Kamera kurz seine britisch-reservierte Haltung ablegt und "Ruhe, action" ruft, steht während der achtwöchigen Dreharbeiten selbst der Verkehr im Umkreis der Eishalle still.

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Es ist ein Film entsprungen ...

Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein, und einen Sohn gebären und sie werden seinen Namen THE BABY OF MACON nennen.

Und es begab sich zu der Zeit der Sommerferien und der deutschen Filmkrise: Junge und Alte folgten dem Stern Peter Greenaways. Und siehe, dort wo er stand, fanden sie das Städtchen Troisdorf und sie gingen in eine Halle. Dort sahen sie das Kind. Sie fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Filmförderungsgelder sowie einen Drehort.

Denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge, da das prophezeite Filmland NRW noch nicht über Riesenfilmstudios verfügt, wie sie in Berlin oder Bayern zu finden sind. Und so wurde die Troisdorfer Eissporthalle Drehort des neuesten Films von Peter Greenaway, dem britischen Regisseur von großen, intellektuellen Schauvergnügen.Der ausgebildete Maler begann seine Filmkarriere mit einer Reihe außergewöhnlicher Kurzfilme wie VERTICAL FEATURE REMAKE, in denen Strukturen und Konzepte bestimmend sind. Eventuell vorhandene Minimalgeschichten erzeugen mit ihren Absurditäten einen Spaß, der nicht weiß, ob ihn die Verhöhnung realistischer Erzählkonventionen wurmen oder deren Überwindung erheben soll. Die meist für das britische Fernsehen produzierten Kurzfilmen enthalten schon die Themen und Formen aller seiner späteren Kinowerke.

Typisch waren THE FALLS, die dreistündige Aufzählung der ungewöhnlichen Unfälle einer genau abgezählten Gruppe von Menschen, deren Namen "fall" enthält. Falls diese (schon von Greenaways Haus-Komponisten Michael Nyman vertonte) Pseudo-Fallstudie endlich einmal in die Kinos käme, würde auffallen, daß die tragischen Fälle nicht nur aus der Luft gegriffen sind, sondern auch - ganz nebenbei - das Filmemachen reflektieren, eine Reihe imaginärer Personen ins Leben rufen (oder aus den Kurzfilmen wiederbeleben) und neben der vielschichtigen inneren Struktur unzählige kulturelle Verweise nach außen anbietet. Greenaways Kosmos, der durch die folgenden Werke kaum eine Erweiterung erfährt, ist zwar nicht unendlich, doch sein enormes kulturelles Wissen und der Drang nach enzyklopädischer Vollständigkeit bieten ausreichend "food for thought".

Mit DER KONTRAKT DES ZEICHNERS begann eine Ergänzung um das konventionelle Erzählkino, die ihren größten Publikumserfolg bei der VERSCHWÖRUNG DER FRAUEN hatte. Im Vergleich zu diesen und den anderen frühen Filmen (ZOO, DER BAUCH DES ARCHITEKTEN) schockierte DER KOCH, DER DIEB, SEINE FRAU UND IHR LIEBHABER die Liebhaber von Greenaways genialen Kunstwelten mit einer drastischen Brutaliät. Nur im Zusammenhang mit dem auch im letzten Film PROSPEROS BÜCHER thematisierten Verhältnis von Kunst und Macht, beziehungsweise Kultur und Politik, lassen sich diese unappetitlichen Mittel verstehen.Auch der jetzt in Troisdorf produzierte THE BABY OF MACON wird keine hehre, fleckenlose intellektuelle Spielerei bleiben, das machen schon die wenigen Aspekte klar, die von der Geschichte bekannt wurden. Die in der Troisdorfer Eissporthalle errichtete Szenerie ist das Theater einer norditalienischen Stadt im 17.Jahrhundert. Das zahlreiche Publikum kriegt zwischen üppigen Speisen eine eher karge Moralgeschichte geboten: Die Geburt eines kerngesunden Kindes im von Hungersnot und Krankheiten geplagten Dorf Macon wird als Wunder angesehen, zumal die jungfräuliche Schwester des Babys sich als Mutter ausgibt. Die Verehrung des abergläubischen Volkes läßt sich gewinnbringend vermarkten, allerdings macht die Kirche Schwierigkeiten, da sie ein Monopol in Sachen Jungfrauengeburten anmeldet.

Dieses im 15.Jahrhundert situierte Stück scheint zweihundert Jahre später in dem italienischen Theater der Hit zu sein. Die ZuschauerInnen sprechen die Bühnentexte mit, versuchen sogar alles, um eine Rolle übernehmen zu können. Unvorstellbar für unsere aufgeklärte Zeit! Als wenn sich Leute wie Filmfiguren verkleiden, Lieder im Kino singen und mit Reis rumwerfen würden. Das wäre ja der absolute Rocky Horror.

Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, seine Maße nehmen ließe, seine Fähigkeiten bekundete und sagt, ob er bekleidet oder auch nackt aktieren wolle.

Doch scheinbar ist Greenaway mit seinem zweifachen Historiengemälde sehr zeitgemäß. So wie das fiktive Geschehen auf der Bühne durch die Menschen im Publikum belebt wird, wiederholten sich während des Castings und der Dreharbeiten einige Ereignisse des THE BABY OF MACON. Tausende wollten vor der Kamera dabei sein, wenn ein neuer Greenaway entsteht. Für wenig Geld stellen jetzt 1500 Auserwählte die hungernden oder schlemmenden Nebenfiguren dar. Zu denen, die kamen, um das junge Kindlein anzuschaun, gehören auch viele junge PraktikantInnen, die das Licht des gelobten Regisseurs suchen.

Die Weisen aus dem Medienland NRW erhielten für ihre 1,5 Millionen Filmförderung die Zusage, ein Mehrfaches werde im Lande bleiben. Zehn größere Filmproduktionen in unserem Bundesland beschäftigen momentan alle Fachleute, erklärte Dieter Koslik [bitte Schreibweise klären; vielleicht Frank fragen], der Leiter der Filmstiftung NRW als Begründung für die vielen (unbezahlten) deutschen PraktikantInnen, die den ausländischen Stars und Fachkräften zur Seite stehen. Auch wenn der Eindruck des Medienkolonialismus nicht ganz auszuräumen ist, bleibt die Hoffnung, daß derart wundersame Filmproduktionen demnächst öfter Neues in den Westen bringen - wie zum Beispiel die geplante "Fortsetzung" von VERSCHWÖRUNG DER FRAUEN: COUNTING DEATH.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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