Quo vadis, Hollywood?

Waffenruhe oder kosmetische Korrekturen?

Nach den Flugzeugattentaten auf das World Trade Center verleidet ein hastig zugeschnittenes Moral-Mäntelchen Hollywood sein liebstes Spielzeug: Die Lizenz zum Töten.

Jahrelang hat sich Hollywood selbst mit überdrehter Fantasie überboten, besonders "reizvolle" Katastrophen, "originelle" Todesarten zu entwerfen. Nun zeigt sich die ganze Filmindustrie, die sich Jahrzehnte bemüht hat, alles Denkbare und vor allem das Undenkbare zu zeigen, betroffen.

In "Independence Day" jagten Aliens das Weiße Haus in die Luft, für "Armageddon" ließ man New York von Kometen zerbomben, im "Project: Peacemaker" versteckten Terroristen Atom-Bömbchen im Big Apple. Was sollte das, fragte sich der Europäer angesichts seltsamer "Patriot Games", bei denen am Ende meist doch die US-Flagge stolz durchs Bild wehte? In einer Kritik zu "Deep Impact", der den ganzen Kontinent überflutete, finden sich folgende Gedanken: "Was könnte das Ganze uns vielleicht unbewusst erzählen? Der Wunsch eines Landes, mal richtig reingewaschen zu werden? Die Sehnsucht nach Läuterung der Nation?"

Jetzt übertraf die Realität die Fiktion und man sucht Schuldige. Der 76-jährige amerikanische Regisseur Robert Altman meint, niemand würde sich solche Grausamkeiten ausdenken, wenn er sie nicht vorher in einem Film gesehen hätte.

(Von den Games haben die Analysten übrigens viel zu wenig Ahnung, sonst wären die Flugsimulatoren viel häufiger Zielscheibe der Kritik. Der Cowboy-Präsident Ronald Reagan lobte einst die Kids an den Flugsimulatoren, weil sie sich früh auf die Soldatenkarriere einüben. In seinem beschränkten Weltbild hat er allerdings nicht bedacht, dass auch böse Kinder zu guten Bomberflieger werden können.)

Aber das Medienwirkungs-Szenario des Amokläufers, der gerade ein Gewalt verherrlichendes Video gesehen hat, ist out. Hollywood bemüht sich vorauseilend um Wiedergutmachung: So gab es ein Treffen der Regierung mit den Spezialisten des Actionkinos. Bislang waren die liederlichen "Künstler" der Westkünste der Bush-Truppe aus Washington immer suspekt. Die alten Kampfansagen wichen nun demonstrativen Verbrüderungen.

Doch die perfekte Verquickung von Hollywood und Krieg haben sich die Militärs selbst eingebrockt: Immer wieder wurden bis zum Flugzeugträger Gerät und Know How an die Filmemacher ausgeliehen. 3D-Simulatoren für den Nahkampf entstehen mit Hilfe der Filmleute. Kritische Stimmen gegen Militär oder die Weltpolitik der USA sind chancenlos in der Schutzhöhle Kino: "Black Hawk Down" von Ridley Scott liegt im Giftschrank. Der Film dreht sich um die Somalia-Pleite der US-Militärs Anfang der 90er. Damals kommandierte Präsidenten-Papa Bush. (Pech hat auch "Metropolis", ein genialer Zeichentrickfilm aus Japan, weil im Finale in Anlehnung an den gleichnamigen Stummfilm-Klassiker von Fritz Lang ein Tripple Tower einstürzt.)

Eine ganze Reihe fertiger Filme wurde nach dem 11.September, nach "911", auf Eis gelegt. Wie ernst diese schamhafte Zurückhaltung gemeint ist, zeigen deutsche Verleihtöchter: Das Vergnügen an extrem mörderischen Explosionen wird in "Password: Swordfish" zelebriert. Der an sich angesehene Robert Redfort gibt sich für das ekelhaft militaristisches Spektakel "Die letzte Festung" her, die in jedem Bild und allen Gedanken Lust auf Krieg und Konfrontation predigt.

Bruce Willis hingegen hat genug von der Gewalt. Allerdings ist nicht das Hochhaus in seinem Erfolg "Die Hard" das Problem, viel eher das nebenbei in die Luft gejagte, voll besetzte Flugzeug in "Die Hard 2". Dreihundert Menschenleben für einen lauten Knalleffekt opfern - das konnte Hollywood gut.

Wolfgang Petersen, wie "Patriot" Roland Emmerich dankbarer Gastarbeiter mit oft wehender Nationalflagge, musste seine aktuelle TV-Serie "The Agency" über die CIA umbauen. Ein Folge drehte sich um Anthrax-Anschläge. (Mit "Outbreak- Lautlose Killer" testete Petersen schon 1996 katastrophal bio-chemische Waffen!) Im Spiegel-Interview meinte er, "Zyniker in Hollywood könnten sagen: Das passiert uns nicht noch einmal, dass Terroristen im Umgang mit Gewalt einfallsreicher sind als wir ..."

Ansonsten wird retouchiert, die Twin Towers in New Yorks Skyline etwa bei "Spiderman", der Albernheit "Zoolander" oder in der möglichst ungetrübten Romanze "Weil es dich gibt" (Serendipity). Diese Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Tricktechniker macht selbst vor der Absurdität nicht halt, in alten Folgen von TV-Sendungen das NY-Bild zu korrigieren. Aber bei uns war Honecker ja auch Staatspräsident der "ehemaligen DDR". Trotzdem bleibt ein Dilemma: Was erinnert das vergnügungssüchtige Publikum mehr an Realität: Bilder der nicht mehr existierenden Hochhäuser oder eine Skyline ohne die Wahrzeichen?

Und eigentlich hat niemand etwas gelernt: Die Rolle Hollywoods haben nun die Medien übernommen. Gierig entwerfen sie nach "911" Kriegsszenarien - friedliche Lösungen wollte niemand sehen. Noch das kleinste Kaff will weltweit Opfer biologischer Attacken werden, eine perverse Sehnsucht nach der Katastrophe, die nun nicht mehr die Drehbuchautoren, sondern die Nachrichten-Journalisten herbei schreiben.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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