Interaktives Paradies

Von Günter H. Jekubzik

Gabriels neue, göttliche Schöpfung im Multimedia-Bereichbeginnt mit Eizellen und Einzellern. Nach einer Befruchtung zum Anfang öffnet sich die "Pandoras Box" (der Koffer aus Gabriels erster CD-ROM "Xplora 1"), Figuren und Symbole entfliehen in eine karge, unfreundliche Welt, ein Wesen teilt sich auf in Adam und Eva (Eve). Es gilt nun noch dem Schema eines Adventures, die beiden ins Paradies zurückzuführen.

Der nackte Adam wird eingekleidet, geht als Peter Gabriel mit seinem Koffer in die Welt und findet eine Schlammwüste vor. Die Reise geht durch vier faszinierende, von sehr unterschiedlichen Künstlern gestaltete Welten. Ihnen liegt jeweils ein Gabriel-Song zugrunde. Zusammen mit Helen Chatwick, Yayoi Kusuma, Cathy de Monchaux und Nils-Udo entstanden während der zweijährigen Arbeit vielfältige Stile. Die Denkweisen, denen man beim Entschlüsseln der Geheimnisse nachforscht, wechseln und bieten zusätzlichen Reiz.

Die Orientierung enthält eine Menge Überraschungen: Mal verwandelt sich der Cursor in eine Heckenschere, mal müssen alle niedlichen Gartenzwerge einer Steinlandschaft an einem Fels zerschlagen werden.

"Schlamm" verbirgt die ersten Töne von "Come Talk to me" in Muscheln, in Erdrissen oder gestrandeten Fischen. "Der Garten" versteckt seine Melodien aus "Shaking the Tree" in Käfern, Raupen und Schmetterlingen.

So sammeln sich nebenbei Samplerteile für ein digitales Rummixen mit Hintergrund-Rhythmen und Melodiefetzen an. Die IMX (Interaktive Musikalische Erlebnisse) bringen pures interaktives Vergnügen in den Multimedia-Rechner. Die neu gesampleten Stücke lassen sich aufnehmen und zukünftig auf den Internet-Seiten zu "Eve" ablegen (realworld.on.net/eve). Als Steigerung des IMX-Genusses sind die Sounds auch in der nächsten Landschaft installiert: Ein Vogel verbirgt eine Melodie, ebenso die fließenden Köpfe von Gabriel und Sinead O'Conner in zwei kleinen Wasserflächen. Das gleiche musikalische Spiel belebt den "Garten" mit Faltern, Käfern und einigen Stimmen von Bekannten des Real World-Labels wie Youssou N'Dour oder Manu Katche.

Nicht nur auf dem interaktiven Sektor ist Peter Gabriel auf der Höhe der Zeit. Sein Video zu "Sledgehammer" war ein ästhetischer Knaller. Schon vor Jahren ging er der Ethnowelle voraus, in dem er bei "Real World" Musiker und Melodien aus aller Welt vorstellte. Zu dem Soundtrack "Passion" ("The Last Temptation" von Scorsese) spielten beispielsweise auf einer anderen CD die beteiligten Musiker ihre eigenen Stücke. Ebenso gab es eine Begleit-CD zu "US".

Nach den erfolgreichen Ausflügen begrünt sich die zentrale Landschaft von Eve mit immer neu erstaunlichen Ideen, Formen und Farben. Steine, Gegenstände und Gebäude erscheinen - oder verschwinden im Trümmerfeld, wenn die Wiedervereinigung von Adam und Eva durch die Explosion eines Atomkraftwerks gekrönt wird. Denn die Welten der CD-ROM sind keineswegs nur nett und erfreulich. "Das Verderben" schockt genauso schauerlich, wie Schreie aus der Hölle erschrecken.

Im Gegensatz zu den meisten Adventures, deren Botschaften "Mach' sie kalt!" lauten, kreisen in "Eve" englische Dialoge und Texte um bestimmte Themen. Es gibt ein Beziehungsgespräch im verschlammten Pissoir und immer wieder ist es zum Weiterkommen notwendig, sich einige Gedanken anzuhören. Auch ästhetisch erfordert "Eve" bei der Bewertung ganz andere Ansätze, die sich im künstlerischen und philosophischen Bereich finden lassen.

Die sagenhaften Hintergründe erscheinen in Fotoqualität. Das Cinemascope-Format läßt Raum für Bewegungen in die Räume. Dabei gelingt auch auf einem Mac mit 68000 Prozessor "Echtzeit-Bewegung" in den Landschaften. Die Einführung ist vorbildlich, für den Notfall gibt eine gute, deutsche Hilfsliste. Das komplette CD-Paket enthält auch ein aufwendig gestaltetes Buch mit (englischsprachigen) Hintergründen zum Projekt "Eve".

"Eve". CD-ROM von Peter Gabriel. Für Mac-Rechner oder PC's mit Windows 95 und Multimedia-Ausstattung. Realworld im Vertrieb von Virgin. Preis ca. DM 100,-.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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