Der längste Dreh der Welt

Von Günter H. Jekubzik

Vor dem großen Filmfest veranstaltet die Volkshochschule am Wochenende in den Atlantis-Kinos ein bemerkenswertes Mini-Festival des DDR-Dokumentarfilms. Von Freitag bis zum Sonntag präsentiert "Deutschlands Ferner Osten" drei hervorragende, aus der DDR stammende Regisseure. Winfried Junge wird dabei mit einem "Meilenstein der Filmgeschichte" persönlich in Aachen sein. 1961 filmte der Junge die Einschulung einer Kindergartengruppe im Oderbruch für die Dokumentation "Wenn ich erst zur Schule geh". Ein folgenschwerer Auftrag, denn der Regisseur kam nicht mehr von den Lebensläufen dieser Kinder los. Bis 1975 folgten fünf weitere Filme mit der Idee "einmal einem Leben zusehen zu können." Irgendwann sah der bescheidene und zurückhaltend nachfragende Winfried Junge die Golzower als "seine Kinder" an. In verschiedenen Institutionen der DDR trieb er die Mittel zur Fortführung der einzigartigen Langzeitdokumentation auf. Sogar nach der Auflösung des gepflegten sozialistischen Dokumentarschaffens drehte Junge - inzwischen zusammen mit seiner Frau Barbara - weiter.

Kaum eine andere Lektüre oder ein Film vermittelt so vertraut den Alltag einfacher Menschen der DDR. Am Defa-Wochenende zeigt die Auswahl von Frau Dr. Hartmann die frühe Zusammenfassung "Anmut sparet nicht noch Mühe" aus 1979 (Fr., 1.11., 20 Uhr). "Lebensläufe" (Sa., 2.11., 15 Uhr) aus dem Jahr 1981, läßt über vier Stunden an einzelnen Schicksalen und Entwicklungen teilhaben, während weitere zehn Jahre später in "Drehbuch: Die Zeiten" (Sa., 2.11., 20 Uhr) auch das Langzeitprojekt selbst betrachtet wird. Nachdem die DDR ein Teil der BRD wurde, änderten sich die Lebensläufe radikal, ein angespannt zurückhaltender Ehemann kann jetzt als staatlicher Geheimnisträger "enttarnt" werden. Auch die filmischen Arbeitsbedingungen während der letzten dreißig Jahre sind ein spannendes Thema. Ob das Projekt unter marktwirtschaftlichen Bedingungen weitergeführt werden kann, ist unsicher. Eine Kino-Begegnung mit den "Kindern von Golzow" wie am Wochenende im Atlantis bildet ein seltenes Ereignis. Winfried und Barbara Junge werden Freitag und Samstag anwesend sein.

Mit ihrer einfühlsamen DDR-Reise "Winter Ade" (Fr., 1.11., 17.30 Uhr) erntete Helke Misselwitz 1988 international Preise und Aufmerksamkeit. Teils poetische Bilder beschreiben das Auftauen einer Gesellschaft und lassen revolutionäre Veränderungen erahnen. Ebenso hervorragend porträtierte die Regisseurin die Arbeit von Berliner Kohlemännern in "Wer fürchtet sich vorm Schwarzen Mann?" (So., 3.11., 15 Uhr). Dem Leben und der Stimmung einer Gegend "erfilmt" Volker Koepp in seinen Dokumentationen. "Märkische Gesellschaft mbH" (So., 3.11., 15 Uhr) ist dritter Teil der Erkundung einer Provinz an der Grenze zu Polen. "Neues in Wittstock" (So., 3.11., 18 Uhr) ist eine ernüchternde Momentaufnahme nach der Wende aus Koepps Langzeitbeobachtung des Städtchens Wittstock.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

realisiert durch

Ein Service von

arena internet service

FILMtabs-Logo