24.Internationales Filmfestival Rotterdam

Von Günter H. Jekubzik

Liegt die Zukunft der kleineren Festivals in einer durchgehendenBegleitung ihrer Filme von der Drehbuchförderung überFinanzierung und Präsentation bis zur Verleihförderung?Rotterdam '95 bot mit dem eng ans Festival gebundenen "Hubert BalsFund", mit dem regen Finanzierungs-Markt "CineMart" und demHauptsponsoren "PolyGram Filmed Entertainment" das manchmalaberwitziges Szenario eines inzestuösen Festivalbetriebes.

Festivaldirektor Emile Fallaux startete trotz seinerletztjährigen Aussage, daß ein Wettbewerb unterschiedlicheSichtweisen auf unterschiedliche Filme einebnen würde, mitfinanzieller Unterstützung von PolyGram die "Tiger Awards",einen "jungen" Wettbewerb für erste oder zweite Werke vonRegisseuren. Dieser Verleiher präsentierte auch denEröffnungsfilm (Roman Polanskis"Death and theMaiden") und kassierte für"Once were Warriors"mit 15.000 Gulden Preisgeld aus der Publikumswertung gleich dieHälfte der spendierten "Tiger Awards"-Summe wieder ein.

Hubert Bals Funds Der Kreis schloß sich mit ihrerVorführung im Festival auch für elf vom "Hubert Bals Fund"mitfinanzierte Filme. (Hubert Bals war Gründer und Leiter desFestivals bis zur Ära Marco Müllers. Nach dessen Wechselzum Locarneser Festival übernahm Emile Fallaux 1992 eineUmgestaltung des Internationalen Filmfestivals Rotterdam.) Aus dem"Hubert Bals Funds" flossen im sechsten Jahr seines Bestehens 450.000Dollar an Drehbuch-, Projekt-, Produktions- undPostproduktions-Förderung für Filme aus der sogenannten"3.Welt". Diese Unterstützung ergänzt sich mit demtraditionell starken Asien-Schwerpunkt des Festivals, derdiesjährig durch die Reihe japanischer Pornos "Pink Pictures"farbig belebt wurde. Zu den abgeschlossenen Projekten gehörtendie Filme aus dem Maghreb "Les Silences du Palais" und"Bab el-Oued City" (s.fd 1/95) oder der in Deutschland bereits gestartete"Das Reisfeld" (fd 23/94). Einnegativer Einfluß solch westlicher Funds-Fürsorge zeigteSana Na N'hadas "Xime" aus Bissau-Guinea. Nach langwierigen,multinationalen Script-Arbeiten sorgten eine niederländischeProduktion und der Kameramann Melle van Essen für fastkunstgewerbliche Bilder. Sie liessen der einfachen Parabel vonUnterdrückung und Widerstand mit grob karikiertenportugiesischen Herrenmenschen wenig eigenes Leben.

CineMart Einen anderen Weg der Filmbeschaffung - oder"Filmaufzucht" - für Festivals zeigt der 1987 geschaffene"CineMart" auf. Er ist kein Filmmarkt sondern eineProduktionsbörse mit wachsenden Umsätzen, wobeimittlerweile die Millionengrenze für einzelne Beteiligungenüberschritten wurde. Bei den diesjährig verbuchten 1200Treffen von Filmemachern mit Produzenten ergaben sich unter anderemAbschlüsse für Projekte von George Sluizer, Isaac Julienund Larsvon Trier.

Diese festival-politischen Hintergründe beeinflussenallerdings keineswegs die Festival-Neugierde der jährlich starkwachsenden Publikumsmengen. Rotterdam reizt mit Filmen für denfrüher klarer abgetrennten "Circuit" der niederländischenFilmkunsttheater und "Filmhuizen", bietet so einen Ausgleich zurEintönigkeit der internationalen Filme, die den Rest des Jahresdominieren. Für ausländische Besucher bieten sich relativwenig große internationale Premieren an, da derniederländische Markt Major-Produktionen oft späterstartet.

Rotterdam präsentierte sich Ende Januar 1995 mit "19.765Minuten" Film, mit dem originellen Poster des Tigers, dessenüberbelastete Augen nur noch von zwei Streichhölzern offengehalten werden. Dabei ist das Festival in der plattgebombten und neuerbauten Stadt zwischen kühl-hochstrebendenGeschäftstürmen und ausladenden Hafenflächen sehrstreßfrei und kompakt rund um die "Kruiskade" situiert.Während ein paar der 15 Säle mit insgesamt 4700Plätzen keine Festivalqualität mehr bieten, ist jedes Kinodurch Cafe und Imbiß auch vorbildlicher Treffpunkt undträgt zur entspannten Atmosphäre bei.

Emile Fallaux ist eigentlich Dokumentarist, derregelmäßig für das niederländische Fernsehenarbeitete. Mit dem 25.Festival endet nächstes Jahr seine Zeitals Festival-Direktor. Er prägte das Festival durch seinunprätentiöses Auftreten und eine offene Programmierung. Soist es wohl kein Zufall, daß die einzelnen Sektionen weder imZeitschema noch im Kinoplan wiederzuerkennen sind, der einzelne Filmmehr zählen soll als der übergestülpte Reihentitel.Leider leistet sich Rotterdam allein niederländische oderenglische Untertitel. Wer nur eine dieser Sprachen beherrscht,muß bei einem Teil der Filme auf diese Hilfe verzichten.

Publikumspreis Die aufwendig ermittelte Publikumswertung beweisteinen offenen Blick für das Welt-Kino:Lars vonTriers umjubelter Fernseh-Vierteiler "Riget" (Königreich)setzte seinen Festival-Siegeszug fort. Die postmoderne Mischung ausKrankenhaus-Serie und Geister-Geschichte ist bevölkert mitabsurd flachen Arzt-Gestalten und abgründigen Schrecken. Artesendet die komplexe Krankenhaus-Version von "Twin Peaks" nach derBerlinale unter dem geistlos vereinfachen Titel "Geister" aus. Dertunesische "Les Silences du Palais" wurde ebenso begeistertaufgenommen wie der jetzt in Indien verbotene und von derOscar-Anmeldung zurückgezogene"Bandit Queen".PhoolanDevi, die seit einem Jahr wieder freie Anführerin einerRäuberbande, verlangte selbst ein Verbot der Verfilmung ihrerLebensgeschichte. Der Publikumsfavorit"Once were Warriors"aus Neuseeland eröffnet mit dem Schwenk von einertäuschenden Fassade campion-artig schöner Landschaften aufdie einbetonierte und eingezäunte Gegenwart einerheruntergekommenen Siedlung. Die dumpfen Brutalitäten der dorthausenden bulligen und üppig tätowierten Stiernacken-Typentrieben einen Zuschauer sogar in die Ohnmacht. Regisseur Lee Tamahoriführte den leidensreichen Weg einer oft durchgeprügeltenFrau zurück zu Traditionen ihrer Maori-Ahnen. Der erfolgreicheWerbefilmer beherrschte seine wirkungsvollen Bilder, gab der fürviele Kulturen gültigen Entwicklung erneutÜberzeugungskraft.

Niederländische Premieren Rotterdam dient nur für einigeNachzügler zur Präsentation des nationalen Filmschaffens,das schon im September beim "Nederlands Film Festival" (Utrecht)gesichtet und mit Edelmetal-Kälbern ausgezeichnet wurde."Hoogste Tijd" von Franz Weisz begeisterte die gesamteniederländische Kritik: Eine engagierte, jungeAmateur-Theatertruppe reaktiviert darin den 78-jährigenBühnen-Entertainer Willem Bouwmeester, tragischerSprößling einer renommierten Schauspielerfamilie. Dievielschichtige Inszenierung einer Inszenierung von Shakespeares"Sturm" (nach Harry Mulischs Roman) weckt Bouwmeesters Erinnerungenan Kollaboration und homoerotische Wünsche. Aus 260.000 MeterStummfilm über die indonesischen Kolonien der Niederländerkomponierte Vincent Monnikendam"Moeder Dao, deschildpaadgelijkende". Die sichtlich einseitige Perspektive desUrsprungsmaterials mit den leuchtend weißen Tropenanzügender Besatzer im Zentrum, wandelt sich in Monnikendams Montage zumEpos der Zerstörung eines natürlichen Paradieses durchIndustrie und Krankheit. Ausgehend von der indonesischenSchöpfungsgeschichte Mutter Daos schnitt er nicht dieOriginalsequenzen gegeneinander. Die Neubewertung der Bilder gelingtvor allem durch musikalische Akzente. Wie aktuell ihreKolonialgeschichte für die Niederlande immer noch ist, hielteneinem nicht nur die Tabakwerbungen des Mitsponsors Javaanse Jongensvor Augen. Erst vor Monaten erhielt ein Niederländer, der sichin Kolonialkämpfen gegen seine Truppe stellte, untergroßem publizistischem Aufsehen nach jahrzehntelangemZwangsexil eine stark beschränkte Einreisegenehmigung seinesHeimatlandes.

Nicht nur bei "Moeder Dao, deschildpaadgelijkende" faszinierte der kreative Umgang des"Nederlands Film Museum" mit dem vergänglichenStummfilm-Material, dessen Ergebnisse schon bei "Lyrisch Nitraat" und"Forbidden Quest" zu bewundern waren. "Die Perücke" (D 1924) vonBerthold Viertel erlebte frisch restauriert ihre Premiere und einWorkshop unter der Leitung von Hartmut Bitomsky ermöglichte sehroriginelle Arbeiten mit Dokumentationen der Zehner Jahre. DieTeilnehmer sahen die Schätze des Museums ganz unkonventionellmal ethnologisch, mal literarisch, medizinisch oder filmhistorisch.Phasen dieser spannenden Arbeit stellte Bitomsky in Rotterdam vor,später wird er aus den Aufnahmen der Arbeitssitzungen eineDokumentation schneiden.

Gänzlich "Rotterdamned" war nur das Programmheft, dasmöglichst tückisch in der alphabetischen AbfolgeOriginaltitel oder irgendwelche Übersetzungen mit denverwirrenden Artikeln durcheinanderwarf. Aber als Ersatz gab es jaden sehr erfolgreichen elektronischen Katalog im Internet. Er wurdeüber 80.000 mal zu Rate gezogen, 1,6 Gigabyte Informationengingen hinaus, das sind 1.200 Disketten oder 200 mal der kompletteInhalt des Kataloges, der nun als CD-Rom veröffentlicht wird.Weltweite Abfragen (z.B. aus Japan und den USA) riefen die Visioneines virtuellen Festivals am heimischen Computer-Bildschirm auf.Doch die angenehme Festivalatmosphäre Rotterdams bildet dasbeste Argument für ein Überleben von Festivals und Kinosals gesellschaftliche Ereignisse. Günter H. Jekubzik

Preise

Tiger Awards He Jianjun, China für "Postman" Kazama Shiori,Japan für "Fuyu no kappa" Bogdan Dumitrescu,Rumanien/Deutschland für "Thalassa, Thalassa, Rückkehr zumMeer"

Fioresci-Jury "Postman", He Jianjun sowie eine SpezielleErwähnung für die Arte-Serie "Tout les garcons et lesfilles de leur age"


Eine Kritik von Günter H.Jekubzik

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