Tupamaros

BRD/CH 1996, Regie Rainer Hoffmann, Heidi Specogna, 95 Min.

Ein einfacher, kleiner Film im Panorama über das ferne Uruguay kann manchmal mitten in Deutschland sehr nachdenklich machen: "Tupamaros" (genau: so ähnlich heißen die Geiselnehmer in Peru) erzählt von ganz besonderen Rebellen, von erfolgreichen. 1963 begann in Uruguay mit dem Überfall auf einen Schützenverein, mit dem Raub einiger unbrauchbarer Gewehre der aktive Widerstand gegen die herrschende Militärdiktatur. Die Tupamaros beraubten in den folgenden Jahren Banken, entführten Politiker (am liebsten mit Käfern und Volkswagen-Bullis) und rächten sich an den staatlichen Folterknechten. Seit 1995 sind einige aktive Kämpfer Mitglied im gewählten Parlament des Landes.

Vier mittlerweile gealterte Tupamaros-Mitglieder - zwei Männer, zwei Frauen - erzählen von alten und neuen Zeiten. Vor allem Pepe Mujica, ein stiller, rundlicher Mann mit Schnauzbart und kleinen Augen steht im Mittelpunkt. Er ist Blumenzüchter aus Leidenschaft, verkauft mit seiner Frau (auch sie kämpfte gegen das Regime) auf einem kleinen Wochenmarkt und fährt eher widerwillig mit seinem Moped in die Hauptstadt. Dort sitzt er mit offenem Polohemd und Jeansjacke im Parlament: Daß man bei diesen Temperaturen eine Krawatte trüge, finde er extrem unsinnig. Er erfüllt diesen ungeliebten Job für die Partei, aber die Umgebung sei ihm zuwider. Er möchte lieber mit normalen Menschen arbeiten. Ein Bauer, der lieber seine wenigen Blumenbeete pflegt, als im Marmorgebäude des Parlaments eingekesselt zu sein. Das ist kein Märchen, keine Anekdote, das ist Demokratie! Dieser Film ist eine Lektion für alle geldscheffelnden, lebensfernen Abgeordneten und sollte in allen Parlamenten monatliches Pflichtprogramm sein.

Dreizehn Jahre saß Pepe im Gefängnis. Ein Freund konnte die Zeit nur am Rhythmus der Fußballweltmeisterschaften ablesen. Alle vier Jahre brachten sich die Wärter trotz strengster Verbote Radios mit zur Arbeit! Das alte Gefängnis ist mittlerweile zu einem Shopping Center umgebaut. Noch perverser ist nur die türkische Idee, einen berüchtigten Folterkeller zum Nobelhotel umzugestalten. "Tupamaros", die Dokumentation von Rainer Hoffmann und Heidi Specogna, hat schreckliche und spaßige Geschichten - es ist halt eine erfolgreiche Guerilla, die berühmteste Lateinamerikas und Vorbildung für viele europäische Bewegungen.

... und dann steht kritiker - sollte er zufällig die Berlinale für etwas Sightseeing verlassen - vor der Mega-Baustelle des Reichstages. Und wird den Gedanken nicht los, daß hier etwas nicht stimmt mit diesem Verständnis von Demokratie. Das sieht alles nicht noch Kürzungen und Sparen aus, auch nicht nach über vier Millionen Arbeits- und wer weiß wie vielen Obdachlosen ....

PS: Wieder einmal ein (halber) Schweizer Film über Lateinamerika! "Ernesto Che Guevara" von Richard Dindo ist ja nur die Spitze des Gletschers. Unzählige junge Schweizer scheinen ihr Land zu verlassen um in Südamerika zu filmen. Weswegen nur? Hier ist der Anlaß deutlich - der beraubte Schießclub war ein "Schweizer Waffenverein". Trotzdem bleibt ein großes Rätsel.


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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