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Spiel auf Zeit

USA 1998 (Snake Eyes) Regie Brian De Palma, 99 Min. mit Nicolas Cage, Gary Sinise, Carla Gugino

Eine große Show in Atlantic City: Der Kampf um die Box-Weltmeisterschaft im Schwergewicht. Ein Mann mit unmöglichem Hemd drängt durch die Mengen, steckt hier ein paar Scheine ein, setzt sie auf den Champ. Ein schmieriger Buchmacher in greller Bekleidung? Nein, ein schmieriger, korrupter Polizist in greller Bekleidung! Weiterhin ist Rick Santoro (Nicolas Cage) ein verrückter Boxfan, wettsüchtig und ein Weiberheld. Ein echter Sympathieträger also, doch diese Einschätzung wird im spannenden Verlauf der Story relativiert, so wie sich die Perspektiven in Story und Kamera oft genug wandeln.

Ist der ganze Film ein Meisterstück, so ist die erste Einstellung die Perle: Bis zum tödlichen Schuß um den sich später alles dreht, bringt der Ausnahme-Regisseur Brian De Palma eine pralle, unruhige Einführung, eine quirlige Hauptfigur und ein riesiges Stadion mit tausenden Zuschauern in nur einer Einstellung unter. Bis es zum ersten Schuß kommt, erzeugt allein die Kamera die ungeheure Spannung. Irgendwann ruft Nicolas Cage aus: "I'm the King" und tatsächlich ist das Ganze weniger aufwendig, aber sicherlich kunstvoller als "Titanic". Die beliebte Cineasten-Spielerei mit einer extrem langen "Plansequenz" unter den besseren Regisseuren ist um ein Kapitel reicher. Neben De Palma (z.B. in "Mein Bruder Kain") plegt auch Robert Altman diese Kunst. Doch die Länge und vor allem die Komplexität der ungeschnittenen Anfangsszene ist dabei nur der protzige Teil des brillanten Handwerks De Palmas.

Wie komplex alles war, zeigt der Rest des Films, der die Randereignisse und Hintergründe des Attentats auf den Verteidigungsminister entwirrt und als großen Komplott wieder zusammenbaut. Rick Santoro versucht dabei seinen alten und mittlerweile sehr ehrenwerten Freund Kevin Dunne (Gary Sinise), den Sicherheitschef des Opfers, mit den Mitteln des "Straßenstrichs" aus der Patsche zu helfen. Doch einigen ermittelt der bestellte Trottel Rick viel zu gut. Er, der "immer weggesehen hat", schaut plötzlich ganz genau hin. Und es ist nicht alles, so wie es auf den ersten Blick wirkt ... So jagen zwei Parteien eine Zeugin (Carla Gugino), die übrigens ganz als Hitchcock-Blondine erscheint und selbst ohne Brille recht hilflos durch die Mengen tappt.

Der kreative Hitchcock-Epigone Brian De Palma variiert in "Spiel auf Zeit" das Finale von "Der Mann, der zuviel wußte", setzt es an den Anfang seines ebenso spannenden Thrillers. Der korrupte, aber aufrechte Rick Santoro, der laute Selbstdarsteller, ist eine grandiose Rolle für Nicolas Cage. Für Qualität steht auch der Drehbuchautor David Koepp, der in den letzten zehn Jahren filmische Meilensteine wie "Der Tod steht ihr gut", "Carlito's Way" und "Mission: Impossible" (beide mit De Palma), "Jurassic Park" und die Fortsetzung "The Lost World" für Spielberg schrieb. Selbst inszenierte Koepp den bemerkenswerten "Trigger Effect".

14.000 Zeugen, über Tausend Kameras in einem riesigen Hotelkomplex, der genügend Winkel und Verstecke für Hochspannung bereithält. Zudem zieht draußen ein Orkan auf, der noch eine gewaltige Rolle spielen wird. Symbole wie blutbeflecktes Geld, Randfiguren im Hintergrund - nichts ist hier zufällig im Bild, die erst spät entdeckte Geschichte der Raketen läßt sich durchgehend am Rande mitverfolgen. So ist dieser extrem spannender Thriller mit vielen Extras (und nicht die der lauten Sorte) gleichzeitig eine Einführung in das Filmsehen: Rick geht zuerst zu den Kontroll-Monitoren, spult die Bänder zurück, läßt sich Ausschnitte zeigen und schaut genauer hin. Über Tausend Kameras stehen für Medienkompetenz. Es gibt noch viel zu entdecken im "Spiel auf Zeit", bis zum letzten Bild: Denn im Abspann steckt sich noch so ein filmischer Leckerbissen: Langsam bewegt sich die Kamera auf eine Gruppe von Arbeitern zu und es dauert noch viel länger, bis wir entdecken dürfen, was sich ganz tief im Bild verbirgt.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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