Sin Querer - Zeit der Flamingos

Argentinien/BRD 1996 (Sin Querer) Regie Ciro Cappellari, 96 Min.

Mit den Flamingos, die den Sommer an den Lagunen am Fuße derAnden verbringen, kommt dieses Jahr noch jemand ins Dorf San Lorenzo.Der junge Ingenieur Mario Rocha hat den Auftrag, die Geologie derrauhen, windgeplagten Hochebene Patagoniens zu untersuchen. Eingroßes Schiff soll über Land transportiert werden und denFortschritt bringen - eine verrückte Idee. (Werner Herzoginszenierte einst Ähnliches für "Fitzcaraldo".) Unter derFührung des kleingeistigen aber allmächtigen DorfpatenAmando Bazan hoffen die Einheimischen auf florierende Geschäfte.Der Bergbau könnte mit neuen Straßen wieder angekurbeltwerden. So beäugen sie alle den jungen Ingenieur; Amandoskleiner Bruder Javier wird als Marios Gehilfe abgestellt.Anhänglich wie Javier verbinden auch viele andere einen Wunschmit dem Fremden aus Buenos Aires: Sie wollen das öde Dorf zuverlassen, ein neues Leben beginnen.

Derweil lebt eine Reihe von Frauen ihr vorbestimmtes Schema: Schonals Mädchen willenlos ver-heiratet, hassen sie ihre altenMänner seit der ersten Nacht und warten von ersten Tag an aufderen Tod. Gloria (Angela Molina), die Bedienung im Dorfladen,arrangiert sich für ein paar Nächte mit demBürgermeister. Gleichzeitig sorgt sie sich um das kleineMädchen Juanita, dem Neuzugang in Bazans Bordell und seinspezieller Privatbesitz. Gloria und Mario finden zueinander.Gemeinsam helfen sie der Indianerfrau Rosa bei der Suche nach ihremkürzlich verschwundenen Vater. Es kommt in der Kirche zur hartenKonfrontation der verzweifelten Frau mit den katholischenBürgern. Schließlich hält ein Erdbeben denFortschritt auf, es gibt einen Mord und jemand schafft es, SanLorenzo zu verlassen.

Die Beobachtung mit dem Fernglas, die distanzierteBeobachterperspektive, gehört nicht dem neugierige Fremden, eineandere Instanz wacht über das Dorfgefüge: Zwar durchlittauch Honoria (China Zorilla) die typische Frauenlaufbahn, doch sieüberlebte ihren Mann und verkörpert nun selbst dieTraditionen.

Vor und hinter der Kamera versammelte diese ruhige, aber intensiveProduktion bekannte Leute: Daniel Kuzniecka, der Darsteller desIngenieurs, spielte schon die Hauptrolle in Jeanine MeerapfelsLateinamerika-Reise "Amigomio".Angela Molina überzeugt mit wenigen intensiven Blicken, dabrauchte man gar nicht ihre Filme mit Bunuel ("Das obskure Objekt derBegierde"), Lina Wertmüller ("Camorra"), Carlos Saura oder PedroAlmodovar anzuführen. Kameramann Jürgen Jürgesarbeitete schon mit Faßbinder, Norbert Kückelmann, HelmaSanders, Robert van Ackeren und Wim Wenders. Den Schnitt besorgte dieSchweizerin Tania Stöcklin und die gesamte Produktion lief mitschweizer und deutschen Geldern.

Ein seltsames Gefühl hinterläßt dieseeuropäisch-argentinische Finanzierung: Aus der Richtung, aus derjetzt die Fördergelder fließen, kamen einst dieweißen Eroberer nach Lateinamerika. Ähnlich sieht esbeispielsweise bei den Franzosen und dem afrikanischen Film aus.

Doch für Authentizität bürgt die Herkunft desRegisseurs Ciro Cappellari. Der Argentinier studierte an der DFFB inBerlin, drehte aber seinen Abschlußfilm "Hijo del Rio" schon inPatagonien. Hinter dem Filmdorf San Lorenzo steckt sein HeimatortIngeniero Jacobacci, in dem "Sin Querer" über zwei Monate langgedreht wurde. Ingeniero Jacobacci liegt wie San Lorenzo inPatagonien, dem rauhen, südlichsten Zipfel Argentiniens. (An demauch "Die Reise" durchLateinamerika von Fernando Solanas startete.)

Neben der poetischen, bildkräftigen aber auch distanziertnüchternen Geschichte des Landvermessers Mario, erzählt"Sin Querer" mit universal verständlichen Hinweisen auch dieGeschichte des Kontinents und seiner Bewohner. Die Indianerin Rosawird von Luisa Calcumil gespielt, einer Kämpferin für ihrennahezu ausgerotteten Mapuche-Stamm.


Eine Kritik von Günter H.Jekubzik

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