Secret défense
Fr 1998 (Secret défense) Regie Jacques Rivette, 170Min.
Eine Handvoll unerhörter Ereignisse, die jedem Thriller gutstünden, bilden in Rivettes " Secret défense " dieKnoten, mit denen man spielend ein großes Publikum einfangenkönnte. Dazwischen die Perlen: Intimes und intensives Spiel imKämmerlein. Tragische Konflikte, die selbst bei den altenGriechen den "Ödipus" aus der Hitparade verdrängthätten. Wie bei Hitchcocks "Vertigo" taucht jemande aus demReich der Toten auf (die auch noch betont Vero (nique), alsoVer(tig)o heißt!)
Sandrine Bonnaire, die von Rivette, dem frischesten Altmeister desfranzösischen Films, schon zur bemerkenswerten "Jungfrauvon Orleans" gemacht wurde, spielt die alleinstehende ForscherinSylvie: Ungebunden, gehalten nur von ihrer Arbeit, derKrebs-Forschung. Einen sehr geduldigen Kollegen hält sieverheißungsvoll auf Distanz. Nur für ihren Bruder Paul hatsie sofort Zeit, selbst als der ins Labor eindringt, um sich einePistole anzueignen. Das Geschwisterpaar ("Nenette et Boni") ist sichvielleicht so vertraut, weil es den Tod der Schwester und des Vaterserleiden mußte. Im Laufe des Films werden noch einige Totehinzukommen. Paul hat ein Foto entdeckt, daß den angeblichenSelbstmord ihres Vaters in Frage stellt. Der Verdacht fällt aufWalser, den vormaligen Kompagnon von Sylvies Vater. Ein abtastendesGespräch zwischen Sylvie und Walser, dem nun alleinigen Chef vonPax Industrie, zeigt den Verdächtigten als bemerkenswertsicheren, durch nichts zu erschütternden, schon körperlichsehr kräftigen Mann. Walser leitet einen Betrieb mit geheimerProduktion, Walser behauptet von sich, er "arbeite im Geheimen". Derverletzte und unbeherrscht wütende Paul will Walser weiterhinumbringen und so macht sich Sylvie mit einer Waffe auf den Weg, umihren Bruder zu schützen. Ernst entschlossen reist sie mit Metround Bahn - dem Verkehrsmittel, das dem Vater den Tod brachte - zumLandhaus der beiden so tragisch verbundenen Familien. Doch eineunerwartete Entwicklung befleckt die Behüterin des Rächersselbst mit Schuld.
Wie gesagt, es passiert Ungeheuerliches, doch nach einer der Tatenüberkommt Sylvie die Ohnmacht wie eine himmlische Gnade.Während die Taten nicht unbedingt von dieser (Kino-/Krimi-) Weltsind, ihre Nachbeben im Innern der Menschen erfahren eine seltenintensive Betrachtung. Mit dem wiederum genretypischen Mittel einessehr spät eröffneten Geheimnisses schafft es Rivette (ohneauch nur einen Ton ablenkender Filmmusik), sich fast drei StundenZuschauerzeit für seinen Film zu rauben. Denn "Secretdéfense" spielt zwar viel im Zug, ist jedoch keineswegszügig.
Die Kamera bediente William Lubtchansky, wobei seine Kunst darinliegt, in engen Räumen unmerklich um die Figuren zu gleiten. Amauffälligsten zeigt sich die Intimität beiTelefongesprächen, die so deutlich erklingen, alssäßen die Gesprächspartner mit im Raum. Im ebenfallsunaufdringlichen Styling des Films brennen sich rote Akzente ein, einWandanstrich bei Sylvie, die Handschuhe von Vero, der neugierigenSekretärin Walsers, ein Shirt, die Tapeten im Landhaus.
Sandrine Bonnaire, mit ihren irritierend verstümmeltenAugenbrauen, zeigt die inneren Erschütterungen ihrer Figur auferstaunlich körperliche Weise. Doch sie ist vielleicht zu sehrStar, um ganz in der Rolle aufzugehen. Den Bruder Paul spielt JerzyRadziwilowicz, zuletzt als arroganter Schnösel in "Liebe dasLeben" zu sehen. Aber die Sensation dieses Film ist der DarstellerWalsers. Sein Part steht im Mittelpunkt aller Interessen und Fragen,anfangs wie ein Fels in den anbrandenden Anfechtungen, spätermit einer sehr persönlichen Perspektive.
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