Leon de Winter

Die Verfilmung des Buchs vom Film

Es entbehrt nicht eines besonderen Reizes, wenn deutsche Agenturen nationalstolz melden, Sönke Wortmann drehe in Hollywood. Seit dem 15. März arbeitet er an seinen neuen Film "The Hollywood Sign" - wahrscheinlich wird es ein Anti-Hollywood-Film. Leon de Winters Vorlage "Der Himmel über Hollywood" erzählt von längst gescheiterten Träumen: Drei alte Männer (gespielt von den Hollywoodveteranen Burt Reynolds, Rod Steiger und Tom Berenger), die alle irgendwie im Filmgeschäft waren, nutzen ihr schauspielerisches Handwerk für ein "letztes großes Ding". Außer Erinnerungen blieb ihnen nicht mehr viel, Tom Green ist sogar in einer Absteige gelandet, die keineswegs so idyllisch wirkt wie Wenders "Million Dollar Hotel". Mit bissiger Verzweiflung (schau-) spielen sie Räuber und Gendarm, um ans große Geld zu kommen. Greens Drehbuch "Der Himmel über Hollywood" ist acht Jahre zuvor - wie gleichzeitig eine Beziehung - grandios gescheitert, doch diese Sache jetzt wurde besser geplant und müsste eigentlich ein Kassenknüller werden ...

"Wenn dies ein Film wäre, zeigte die erste Einstellung einen hellbeigen, betagten Oldsmobile ...." Wenn ein Roman so anfängt, will er deutlich Film werden, doch selten verfolgte ein Autor sein Ziel so konsequent wie der Niederländer Leon de Winter, der gleich ein europäisches Filmstudio in Amsterdam aufbauen will, um seine Filmträume auf Zelluloid zu bringen. Wie soll man ihn nennen? Schriftsteller, Autor, Filmemacher, Regisseur, Kolumnist (einer bedeutenden niederländischen Zeitung) oder gleich "Medienmanager", wie in den neueren Pressemeldungen?

Leon de Winter, geboren 1954 in 's-Hertogenbosch und aufgewachsen in einer orthodox-jüdischen Familie, begann beim Film, doch die Entwicklung zum Produzenten, den er jetzt nach eigener Aussage "spielt" und der mit einigen hunderten Millionen jongliert, verlief nicht geradlinig. De Winter, Jean van de Velde und René Seegers studierten Ende der Siebziger an der "Nederlandse Filmacademie", gingen vor dem Abschluss und realisierten mit ihrer eigenen Produktionsfirma "De Eerste Amsterdamse Filmassociatie van 1980" zwei anspruchsvolle TV-Filme nach Stoffen von de Winter. Der literarische und filmische Primeur war der Entwicklungsroman "De (ver)wording van de jongere Dürer", eine moderne Variante des "Taugenichts" von Eichendorff. 1984 eröffnete "De grens" (Die Grenze), de Winters erste Kinoregie nach einem eigenen Drehbuch, die Sektion "Un certain regard" in Cannes. Die relativ aufwendige internationale Produktion (mit Angela Winkler in einer Hauptrolle) war weniger kunstvoll, spekulierte auf den Markt - blieb aber selbst in den Niederlanden ohne Erfolg. Im gleichen Jahr lief die Filmassociatie-Produktion "De stille oceaan" (Regie Digna Sinke) im Berliner Wettbewerb.

Es folgte eine Reihe interessanter Filme - teils selbst realisiert, teils nach de Winters Vorlagen oder Drehbüchern. Sein populärster Kinostoff war "Zoeken naar Eileen" (dt: Suchen nach Eileen). (Der gleichnamige Roman ist wie sein Schlüsselwerk "Kaplan" immer noch nicht ins Deutsche übersetzt.) Aber in den letzten Jahren sah man ihn vor allem als Schriftsteller, dessen Romane bei Diogenes auf Deutsch erschienen. Zu eigenen Arbeit meinte er 1992: "Ich mache in Lesevergnügen, ich bin Produzent gut lesbarer Bücher. Schüler, die mich lesen, sind von großen Ansprüchen wahrscheinlich genauso genervt wie ich." Zum Schreiben zieht sich der Erfolgsautor immer für Monate nach Santa Monica zurück, inszenierte 1993 auch die Verfilmung seines eigenen Romans "Hoffmans Hunger", einen TV-Mehrteiler mit Elliot Gould, Jacqueline Bisset und Marie Trintignant, in den USA.

Pleskow + Winter = Pleswin
Jetzt gründete de Winter zusammen mit dem über siebzigjährigen, in Wien geborenen Produktionsurgestein Eric Pleskow die Pleswin Entertainment Group. Die Geschichten des Niederländers vom Anfang der Bekanntschaft mit Eric Pleskow, die Gespräche in Deutsch, das findet sich auch im Roman "Der Himmel über Hollywood" in den Treffen der Hauptfigur Green mit dem alten Freund und Agenten Robert Kant wieder. Kant und Pleskow sind beide alte Hollywood-Kenner und Juden. Pleskow emigrierte 1939 aus Österreich in die USA, war als Filmoffizier nach dem Krieg an der Gründung der Bavaria-Studios beteiligt, leitet ab 1973 die Universal Studios und gründete 1978 die Orion Pictures Corporation. Seit 1998 ist Eric Pleskow Präsident der Viennale. Man kann ihn zu den letzten der jüdischen Emigranten zählen, die Hollywood geprägt haben (s. "Hollywoodism" ...). Mit Leon de Winter tritt eine neue Generation und vor allem ein begnadeter Geschichtenerzähler auf. Und genau dies reizt ihn an Hollywood: "Das ist eine Milliardenindustrie, eine Weltmacht, die mit Geschichten arbeitet, mit Geschichten, die man in drei Minuten erzählen muss."

Zusammen mit der Senator Film AG schuf Pleswin in London das Joint Venture Amberlon Pictures für den Weltvertrieb der Filme. Senator ist an den Weltvertriebserlösen der gemeinsamen Produktionen beteiligt, an den Weltrechten für eine unbegrenzte Laufzeit für alle Auswertungsarten und erhält zudem die deutschsprachigen Rechte der internationalen Produktionen. So kam auch Sönke Wortmann zu seinem "Hollywood-Film". Pleswin soll acht Filme mit europäischem Akzent pro Jahr produzieren, das Kapital in Höhe von fast 200 Millionen Gulden bringen Investmentfonds zusammen. "Es hat keinen Zweck, klein anzufangen," meinte de Winter in einem Spiegel-Interview. Unter anderem ist eine Neuverfilmung von "Sissi" durch Richard Attenborough nach einem Buch von Norman Mailer geplant.

"Jüdische Ironie ..."
Der Kontakt zu einem deutschen Medienunternehmen ist nicht nur finanztechnisch nahe liegend. Bei de Winters Romanen spielen immer wieder deutsche Motive eine Rolle, er spricht sehr gut deutsch, trägt die Übersetzungen seiner Texte bei Lesungen auch in Deutsch vor. Nun gibt es aber nicht nur die kulturellen Einflüsse des großen westlichen Nachbarn, es gibt auch die Verbrechen deutscher Besetzung und die systematische Ermordung zahlloser Juden. Dieses Erbe wird nicht ausgeblendet, sondern bewusst eingesponnen für die Möglichkeiten der Gegenwart: So erzählt der niederländische Jude beispielsweise, in Deutschland seien ihm die Geschäftspartner für Pleswin mit der überraschenden Äußerung "Wir vermissen die Juden in diesem Geschäft" besonders entgegen gekommen. Es fehle im europäischen Film eine jüdische Ironie, die international leichter zu verstehen sei.

Die Suche nach jüdischer Identität läuft als Markenzeichen - neben der Sehnsucht nach einer alten, verlorenen Liebe - in fast allen Romanen de Winters mit. Immer wieder handeln seine Texte vom jüdischen Leben in Europa - wenn auch als Versuch eines explizit nicht jüdischen Lebens etwa in "SuperTex". Dieser Roman über Max Breslauer, den Erben eines auf Lumpensammeln basierenden Textilimperiums, macht die zunehmende Orientierung der Figuren de Winters zum praktizierenden Judentum deutlich. Treffend dazu die Aussage Breslauers auf die Frage einer Analytikerin, wo denn seine Geschichte anfängt: "Vor mehr als fünftausend Jahren." Seine Geschichte ist die der Juden, zu denen er anscheinend zurückfinden muss, um glücklich zu werden. "Zionoco", der 1995 erschienene, bislang vorletzte Roman de Winters, bildet den vorläufigen Höhe- und Endpunkt dieser Suche.

Auch Leon de Winters früh verstorbener Vater wurde übrigens in der katholischen Kleinstadt 's-Hertogenbosch mit Lumpen wohlhabend. Solch leicht erkennbare biografische Hinweise finden sich immer wieder. "Der Himmel von Hollywood" vergnügt zudem mit pointierten Gedanken zum europäischen und zum amerikanischen Kino. Und mit einem Beispiel jüdischer Ironie zum Thema Happy End: "Wenn ich es mir recht überlege, ist mir kein Fall bekannt, in dem das Leben gut ausgeht. Hat immer ein böses Ende ..." Regieanweisungen ziehen sich durch den gesamten Roman, der auch ein raffiniertes Spiel mit der Scheinrealität der Filmwelt auf mehreren Ebenen konstruiert.

Für den neuesten Milos Forman-Film "The Little Black Book" mit Liv Tyler in der Hauptrolle schrieb de Winter das Buch nach einem Stück von Jean-Claude Carrière - damals noch für den Produzenten Pleskow. Bei den kaufmännischen und juristischen Vorbereitungen zur neuen Firma "spielte" der Romancier vor allem die Rolle des Produzenten, nahm an Leibesfülle zu und rauchte stilecht dicke Zigarren. "Besessen vom Kino" - dieser treffenden Schlagzeile kann man glauben. Unklar ist, auf was man mehr gespannt sein darf, die Studio-Visionen einer schillernden Persönlichkeit oder der nächste Roman eines gesegneten Erzählers. Aber vielleicht ist das Leben in Form von Pleswin ja der nächste erfolgreiche Entwurf de Winters. Ganz eindeutig ist das bei diesem Vertrag zwischen Realität und Fiktion nicht zu unterscheiden.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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