John Boorman

Entdecker, Schamane, Humanist

Selten blieb sich ein Filmemacher mit einer derartigen Vielfalt von Genres und Themen so treu, wie John Boorman. Ein genauer Blick auch auf die bekannten und fast vergessene Filme des Perfektionisten legt überraschende Verbindungen bloß.

Schon in Boormans erstem amerikanischen Film "Deliverance" tauchen Topoi zukünftiger Tiefenschichten auf. Der Fluss, der in "Beyond Rangoon" wieder kehren wird, mit den Stromschnellen, die einen zentralen Ort im "Smaragdwald" bilden. Auch die "Rache der Natur an ihren Vergewaltigern" findet sich hier wieder. Boormans Films atmen eine tiefe Verbindung zur Natur, die alle Ökotrends überlebte.

Im November 2001 widmete ihm das 42.Internationale Filmfestival von Thessaloniki eine seiner sorgfältigen Retrospektiven. Boorman reagierte auf diese Ehre mit typisch britischem Understatement: Es seien in der Retrospektive auch einige Filme, "die er gerne vergessen hätte." Doch Boorman kokettiert nicht nur mit seinem reichhaltigen Oeuvre, es interessiert ihn später tatsächlich nicht mehr besonders, was er realisiert hat. Immer wieder sucht er neue Sujets: Es würde ihn langweilen, das Gleiche noch mal zu machen, wie es nach Erfolgen wie dem Artus-Film "Excalibur" immer wieder gewünscht wurde. "Filmemachen ist eine Entdeckungsreise, ich bin ein Entdecker (explorer), werde von einer Idee begeistert und will dann alles über sie herausfinden."

Dabei gingen die ersten filmischen Entdeckungsreisen des am 18. Januar 1933 an einer Jesuiten-Schule aufgewachsenen Boorman nicht in exotische Regionen sondern zu den Eingeborenen von Bristol, England. Für die lokale BBC-Abteilung realisierte er eine Reihe von Dokumentationen. Zuvor schrieb er Kritiken zu Film und Radio, dann schnitt er für das Fernsehen.

Die ungemein modern wirkende Serie "Newcomers" dokumentiert in sechs Teilen das Leben eines jungen Paares in Bristol. Jede Episode hat einen anderen Stil, formal ist die Verquickung der Leben und Themen äußerst reizvoll, die Dramaturgie steht weit über dem, was man von so einer lokalen TV-Produktion erwarten würde. Boorman könnte stolz auf diese Arbeiten sein, doch in "Money into light", einer BBC-Dokumentation über Boorman, wird der unbedingte Gestaltungswille des Regisseur deutlich. Boorman will alles kontrollieren - "kein Dokument rekonstruiert Erlebtes!"

Lee Marvin
Eine besondere Rolle in Leben und Karriere Boormans stellt die Begegnung mit Lee Marvin dar: Während sie trafen sich in London, um über das Drehbuch zu "Point Blank" zu sprechen. Die Besprechung endete einvernehmlich mit einer der typischen Gesten Marvins: Er schmiss das alte Skript aus dem Fenster und Boorman hatte den Job für seinen ersten großen Hollywood-Film.

"Point Blank" wurde mit seinem extremen Styling ein erster Meilenstein in der Karriere des Briten. Heute bemerkt der Regisseur, dass sein Film immer mehr Aufmerksamkeit erhält. Die Zeit sei damals noch nicht reif für einen derart durchstilisierten Film gewesen, meint er. Als nächstes Projekt drehten Boorman und Lee "Hell in Pacific" - für den Ex-Marine Marvin ist der absurde Kampf eines amerikanischen und eines japanischen Soldaten (Toshiro Mifune) auf der verlassenen Insel eine Bewältigung seiner Kriegserlebnisse im Pazifik, für Boorman eine erste Dschungelbegegnung.
Nach dem Tod seines Darstellers und Freundes dreht Boorman noch einmal eine Dokumentation: "Lee Marvin - A personal biography" vermittelt das vertraute Verhältnis der beiden Männer und zeigt Marvin als Person mit sehr unterschiedlichen Seiten. Marvin war für den so viel leiseren, zurückhaltenderen Boorman ein "geistiger Krieger auf der Suche" (spiritual warrior on a personal quest).

"Where the heart is" - Die Familie

Noch wichtiger als die Freundschaft mit Lee ist Boorman seine Familie. Bemerkenswert - wenn auch in der Filmwelt nicht ungewöhnlich, siehe die Coppolas - sind die engen Familienbande, die in die Arbeiten Boormans hineinreichen. Sein Sohn Charley Boorman ist seit "Excalibur" immer wieder als Darsteller dabei, in der ergreifenden Geschichte "Smaragdwald" hat er die Hauptrolle. Auch Tochter Katrine Boorman ist als Schauspielerin aktiv ("Camille Claudel", "Gazon maudit").

Die Familiengeschichte "Zeit der bunten Vögel" - mit dem aussagekräftigeren Originaltitel (Home is) "Where the heart is" - kann man als Schlüsselfilm zu einem lebendigen Familienleben bezeichnen: Es ist der dickköpfige Vater, der als Abbruchunternehmer für den Zerfall der Familie zuständig ist. Die ungeahnte Kreativität der drei Kinder rettet ein zerfallendes Imperium. Mit seiner zweiten Telsche schrieb John Boorman das Buch zu diesem Fantasie reichen und jung gebliebenen Kunstwerk.

In "Beyond Rangoon" (1995), einer der wenigen schwachen Werke Boormans, ist die politischen Anklage gegen das Regime Burmas zu platt, Patricia Arquette kann in der Hauptrolle einer anfangs naiven und später engagierten Touristin nicht überzeugen. Allerdings klingt deren Name Laura Bowman sehr vertraut und ihre Lethargie angesichts zweier Todesfälle in der Familie führt zur gelungenen Ebene des Films.

Zwei Jahre später stirb Telsche Boorman im Alter an Krebs. In "Excalibur" war sie als "Lady of the Lake" zu sehen. Später war sie erfolgreich an mehreren französischen Produktionen beteiligt (u.a. "Gazon maudit", "Eine Frau für zwei").

Seine eigene Geschichte arbeitete Boorman in "Hope and Glory" auf, er ging zurück in seine Kindheit während des "Blitz", der Bombenangriffe der Deutschen.

Natur-Kampf

Mit dem Dreh zum "Smaragdwald" ist eine der schönsten Geschichten Boormans verbunden, die man ihm - im Gegensatz zu vielen Werbekampagnen im sonstigen Filmgeschäft - glauben kann: Während der Monate, die Boorman im Amazonas bei einem erst vor wenigen Jahren entdeckten Stamm lebte, versuchte er dem Häuptling und Schamanen des Stammes zu erklären, was Film ist. Er erzählte von den Erzählperspektiven, der Kamera, die sich frei in den Himmel und überall hin bewegen kann. Darauf hin sagte der Schamane, das ist genau das Gleiche, was ich mache. Die Umsetzung finden wir im Film selbst wieder. Das weiße Findelkind, das im Urwald aufgezogen wurde, fliegt bei seiner Initiation im Drogenrausch als Adler durch die Lüfte und sieht dabei Dinge, die tatsächlich weit entfernt passieren!

 


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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