Fernando E. Solanas

Von Günter H. Jekubzik

Fernando E. Solanas wurde 1936 in Argentinien geboren, seine sechsbisherigen Filme hat er immer nur unter großen Schwierigkeitenfertiggestellen können. Sein Leben ist eng mit der GeschichteArgentiniens verbunden. Sie spielt auch immer eine Hauptrolle inseinen Filmen.

Bekannt wurde Solanas erstmals durch die dreiteilige DokumentationDIE STUNDE DER HOCHÖFEN, eine Chronik Lateinamerikas undspeziell Argentiniens. Als die Dreharbeiten zur STUNDE DERHOCHÖFEN beendet waren, mußte Solanas mit 200 Filmrollenvor der Militärdiktatur fliehen und konnte den Film nur inItalien fertigstellen.

Nachdem sein zweiter Film FIERROS SÖHNE - diesmal einSpielfilm mit ähnlicher Thematik wie DIE STUNDE DERHOCHÖFEN - 1976 fertig war, wurden zwei Darsteller des Filmsermordet. FIERROS SÖHNE war Beginn einer argentinischenTrilogie.

Solanas betont thematisch und stilistisch eine kulturelleIdentität des Landes und des Kontinents. Dabei spielt der Tangoeine große Rolle. Der Tango und mit ihm verbunden, großeGefühle sind nicht nur in der musikalischen Begleitung das Themavon seinem folgendem Film TANGOS - DAS EXIL VON GARDEL. 1985 drehteer TANGOS im seinem Pariser Exil. Der Film handelt von einer GruppeArgentinier in genau diesem Exil, die versuchen, mit ihrer Tangokunstin einer kalten Umgebung zu überleben. Auf einer weiteren,traumhaften Ebene ist TANGOS auch die Exil-Geschichte deslegendären Tango-Komponisten Gardel.

Wenn FIERROS SÖHNE die Geschichte zwischen Sturz undRückkehr des argentinischen Präsidenten Peron (1955 - 1973)erzählt und TANGOS der Film des Exils ist, dann war SÜDEN,der fünfte Film von Solanas, die poetische Verarbeitung derWiederkehr am Ende einer Militärdiktatur, am Ende einer langenNacht. SÜDEN, fertiggestellt 1988, spielt im Jahre 1983 als seinHeld Floreal nach fünf Jahren aus dem Gefängnis entlassenwird. SÜDEN ist eine poetische Begegnung mit den Toten, derschwierige Weg zum Neuanfang und auch der Titel eines derbekanntesten Tangos von Astor Piazzola.

Im Mai 1991, nach einer ersten Vorführung von"Die Reise", wurde Solanas inBuenos Aires von zwei Attentätern mit mehreren Kugeln in dieBeine geschossen. Der Regisseur geriet in dieses 'Kreuzfeuer', weiler in einem Interview die allgemeine Korruption, das wirtschaftlicheChaos und das Fehlen jeglicher kultureller Politik in Argentinienangeklagt hatte. Schon auf der Fahrt ins Krankenhaus betonte Solanas,daß er seine Äußerungen nicht zurücknehmenwürde.

Daß Politik und Kino für ihn nicht trennbar sind,lassen schon frühere Äußerungen erkennen: Im Pamphlet'Kino der Dekolonisation' schrieb Solanas 1971: "Die Unterordnung desKinos unter amerikanische Modelle, wenn auch nur in der Filmsprache,zwingt zur Übernahme von Teilen jener Ideologie, die nur eineSprache zuläßt, nur eine Beziehung Werk-Zuschauer."

Zu seinen andersartigen Sprach-Elementen, die dieser Besetzung derKöpfe entgegenarbeiten, gehören Metaphern und Bilder, diedie Wirklichkeit der Menschen allegorisch darstellen, poetisch underhabener als in einer Dokumentation. Auf die Frage, weshalb er soviele Metaphern benutzt, sagte Solanas: "Wenn sich eine Geschichtedurch Bilder vermittelt, vergißt man sie nicht so schnell,Bilder graben sich ins Gehirn, hinterlassen Spuren."

DIE REISE ist erst seinsechster Film - Solanas sagt von sich selber, daß er einlangsamer Arbeiter sei. Der Film war nicht nur für den Heldeneine Reise über mehrere tausend Kilometer. Auch Solanasentdeckte während einen Jahres der Recherche in den vierLändern Brasilien, Argentinien, Peru und Mexiko seinen Kontinentnach dem Pariser Exil neu.

Die Suche nach Identität war schon immer ein zentrales Themafür Solanas, diesmal findet sie in einer Situation statt, in derweltpolitisch und im Film die Systeme lautstark zusammenstürzen.

DIE REISE ist ungeheuer dicht,sie zeigt zu viel für ein einmaliges Sehen. Wir Europäerkönnen nicht alles verstehen, sollten es auch gar nichtversuchen, denn wir stehen auch auf der anderen Seite, auf der desWestens, der Kolonisation. Der Film ist also nicht unbedingt füruns gemacht. Doch ist er das beste Gegengift zu den Columbus-Filmen,die eine vermeintliche "Entdeckung" Amerikas feierten.

Thematisch ähnlich erzählt Jeanine Meerapfel impoetischen AMIGOMIO. Es stellt sichdie Frage, ob das Absurde im argentinischen / lateinamerikanischenFilm eine besonders passende Antwort auf politische undgesellschaftliche Situation darstellt. So verfährt auch AgrestisBODA SECRETA ("Ein Toter kehrt zurück" / "Heimliche Hochzeit").Eine andere Haltung wäre die der Anklage in Jeanine MeerapfelsLA AMIGA.

In Argentinien wollte die Regierung zuerst den FilmDIE REISE verbieten, konnte dasaber nicht mehr, nachdem DIEREISE in Cannes 1992 mit dem Preis für die beste Technikausgezeichnet wurde. Doch als indirekte Zensur gab es schlechteKritiken, den Vorwurf, der Film würde das Ansehen Argentiniensbeschmutzen und er beleidige den Präsidenten.

Dazu paßt das Schlußwort von Solanas, der immer wiedertrotz größter Schwierigkeiten weitergemacht hat:"DIE REISE ist voll Hoffnung undHumor, voll der Magie des Lebens und der Möglichkeit, von einerbesseren Welt zu träumen. Die Menschen müssen ja nicht beimTräumen bleiben."

Quellen:

film-dienst 14/91, 9/92, 8/93, epd 12/88, 4/93, zoom 12/92

 


Eine Kritik von Günter H.Jekubzik

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