Populärmusik aus Vittula

Schweden, Finnland 2004 (Populärmusik från Vittula) Regie: Reza Baghar 105 Min. FSK ab 12
 
Mit einem herrlichen Kinospaß wartet das neue Jahr direkt auf: Wie sich Gitarren-Rock im äußersten Norden Schwedens, wo es schon fast Finnland ist, durchsetzt. Was eine Beatles-Platte während der 60er in Vittula anrichtet, in diesem Umfeld aus saufenden Sturköpfen und wortkargen Schlägern, ist nicht nur umwerfend komisch. Der sensationelle Kinoerfolg Schweden hat auch reichlich was fürs Herz zu bieten. Und löst am Ende die Frage, wie man seine auf einem einsamen Berggipfel festgefrorene Zunge wieder auftaut ...
 
Im tornedalischen Pajala, in der nördlichsten Ecke Schwedens, wächst Matti in den 60er auf. Eine raue Jugend unter Elchjägern, Holzfällern und Flößern, so skurril wie man es aus Kaurismäki-Filmen kennt. Exzessive schwedische-finnische Hochzeiten mit Trinkgelage, Sauna-Aufguss-Wettbewerb und Fingerhakeln krönen den Alltag.
 
Doch als eine Beatles-Platte im Stadtteil Vittula landet, steht die Welt von Matti und Niila auf dem Kopf: Rock’n Roll Music zieht ein als Traum von Freiheit und einer anderen Welt dort draußen. Zum Glück kommt auch ein neuer, alternativ origineller Musiklehrer und Rennradfahrer aus Südschweden in das Dorf, das seinen ersten Neger wie ein Weltwunder mit offenem Mund bestaunt. Hier tritt Nilla erstmals hervor, seine autodidaktische Begeisterung für Esperanto zahlt sich endlich aus, der Junge kann die Predigt des Afrikaners übersetzen!
 
Nachdem der Lehrer ein Radrennen gegen den Bus gewann trashen die Mini-Rocker direkt das Klassenzimmer und begeistern die Groupies. Der gemeinsamen Karriere der Freunde steht nur noch der prügelnde Vater Niilas im Wegen, der mehr Gitarren zertrümmert, als The Who in ihrer kurzen, lauten Karriere. Und vielleicht die Frauen, die immer gefährlich werden, wenn zwischen zwei Jungs mehr als Freundschaft wächst.
 
Die Dorfgeschichte wie Action inszeniert. Der Tod der religiösen Oma wie beim "Exorzist" angelegt. Die Nachstellungen des komischen Kauzes und transvestiten Händlers Ryssi wie ein Horrorfilm. Man kann noch so viele "Wie's" bemühen, diese "Populärmusik" ist ein einzigartiges Ereignis. Schlägt im Süden - wenn man oberhalb des Polarkreises wohnt, ist fast alles Süden - ein wie einst die Beatles-Platte im Norden. Kurios, komisch, selbst eklig auf ganz eigene, Vittula-skurrile Weise.
 
Regisseur Reza Bagher erblickte 1958 im Iran das Licht der Welt. Mit 17 Jahren zog es ihn nach Schweden, um Abitur und ein Ingenieursdiplom abzulegen. Im Anschluss daran studierte Reza Bagher Schauspiel und Film an der Stockholmer Filmhochschule. Vielleicht gelingt auch mit etwas Distanz ein besonders schön schräger Blick auf eigentümliche europäische Volksgruppen.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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