Onegin

GB 1998 (Onegin) Regie Martha Fiennes, 106 Min.

Nicht jede Literaturverfilmung muss verschrecken. Manche schaffen ein eigenständiges Meisterwerk, ohne dass man einen Vergleich bemühen braucht. So "Onegin", die filmische Version von "Eugen Onegin", Alexander Puschkins epochalem "Roman in Versen".

Ralph Fiennes ("Der englische Patient"), spielt nicht nur eindrucksvoll Onegin, den dekadenten Lebemann in Petersburg zu Anfang des 19.Jahrhunderts. Der Brite produzierte diesen Glücksfall in Sachen Literaturverfilmung, seine Schwester Martha führte Regie und Bruder Magnus schrieb den eindringlichen Soundtrack.

Angewidert von der Petersburger Gesellschaft - und von den Menschen allgemein - fährt Onegin aufs Land, um das reiche Erbe seines Onkels anzutreten. Der selbstverliebte Müßiggänger freundet sich erst zögerlich mit der provinziellen Familie Larin an, ist dann aber fasziniert von deren älteren Tochter Tatjana (Liv Tyler). Tatjanas schwärmerische Liebe weist er jedoch zurück, tanzt darauf zu vertraut mit ihrer Schwester Olga und erschießt im Duell den verletzten Dichter Lenskij, seinen einzigen Freund. Nach mehreren Jahren selbst auferlegtem Exil findet Onegin in Petersburg Tatjana als Gattin eines Prinzen (Martin Donovan aus "Simple Men"). Ein ganz anderer, liebeshungriger Onegin gesteht ihr nun seine Liebe, doch jetzt weist sie ihn ab.

Atemberaubendes Schauspiel vereinigt sich in "Onegin" mit Kostümen und Kulissen, die keine Dekoration sondern Ausdruck sind. Die traumartige Welt der geheimnisvollen Romantikerin Tatjana fasziniert in den Bildern des Kameramannes Remi Adefarasin ("Elizabeth") ebenso wie die surreale Szenerie des Duells. Eine atemberaubende Szene folgt der nächsten: Das weißes Blatt Papier wandelt sich zur Eisfläche, auf welcher der fertige Liebesbrief gebracht wird. Wie ein düsterer, hungriger Vampir dringt der gebrochene Onegin in Tatjanas strahlend weißen Palast ein. Während sich bei der ersten Begegnung der zynische Narziß in einer silbernen Dose spiegelte, ist sein späterer Blick in den Spiegel gebrochen von Schwäche und Ermattung.

Dieser in jeder Hinsicht gelungene Film von Martha Fiennes klammert sich nicht an historische Details, er schafft eigene Sphären, kongenial unterstützt von der Musik Magnus Fiennes'. Die in völliger Stille wiedergegebene schreiende Trauer trifft dabei genau wie die unerträglich eindringlichen Blicke von Liv Tylers Tatjana. Wer keine formgetreue Umsetzung der vierzehnzeiligen Onegin-Strophe sucht, wird im Film "Onegin" eine Kinoperle finden.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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