Montags 20 Uhr im Atlantis, Pontstraße 141-149

alle(r)weltskino

17. November 1997

NACH SAISON

BRD 1997 125 Minuten

Regie: Pepe Danquart , Mirjam Quinte

Kamera: Michael Hammon

Musik: Michel Seigner

Montage: Mona Bräuer

Produktion: ARTE, Quinte Filmproduktion, Blueberry Films, Goethe Institut

Produzentin: Mirjam Quinte

Kommentartext: Klaus Theweleit.

 

Mostar, Sommer 1994. Der jugoslawische Bürgerkrieg hat die Stadt zerstört und zerrissen. Wo sich früher die Nationalitäten mischten, teilt eine Demarkationslinie Mostar in zwei Hälften. Im Osten Muslime, im Westen Kroaten. Die Verwaltung der Stadt wird von Hans Koschnick geleitet. Der deutsche Politiker wurde von der Europäischen Union als Administrator eingesetzt. Mirjam Quinte und Oscar-Preisträger Pepe Danquart begleiteten Koschnick während seiner fast zweijährigen Amtszeit in Mostar. Ihr Film NACH SAISON schildert, wie alle Versuche, die Bewohner der Stadt miteinander auszusöhnen und Mostar wiederaufzubauen, an den Folgen des Krieges scheitern. Die Spuren des Krieges sind allgegenwärtig. Ruinen, ausgeweidete Gebäude, endlose Eisenbahnzüge, die verendet im Regen liegen. Die fahrigen Bewegungen der jungen Männer, wenn sie an ihren Zigaretten saugen, die Augen huschen hin und her, die Körper so angespannt, als würde immer noch mit Granaten auf sie geschossen. Die Frau, die in ihren verbrannten Büchern steht und nach Romanen sucht, die den Krieg überstanden haben; eine Situation, der sie zuerst mit einem harten, schwarzen Humor begegnet, um ein halbes Jahr später in Depression zu verfallen. Kriegserinnerungen schlagen manchmal erst nach Monaten ein, Zeitzünder, gelegt von Männern, die jetzt im Café eines kroatischen Invalidenheims sitzen und vor sich hinstarren. Jedem Muslim, der auf ihre Seite der Grenze kommen will, drohen sie mit dem Tod.

 

Mostar, Sommer 1994. Zwei Bürgerkriege in drei Jahren haben die Stadt zerstört und zerrissen. Zuerst verteidigten Kroaten und Muslime die Stadt gegen die Serben, dann schossen die Kroaten auf die Muslime. Jetzt ist der Westen kroatisch, die Muslime leben eingeschlossen im Osten. Zwischen ihnen eine unsichtbare Mauer mit einem Grenzübergang, den die Leute Checkpoint Charlie nennen.

 

Die Ruhe an der Grenze ist trügerisch, der Friede brüchig und nur internationalem Druck zu verdanken. Als Administrator der Stadt wurde von der Europäischen Union der deutsche Sozialdemokrat Hans Koschnick eingesetzt. Zwei Jahre soll er bleiben, um ein zerstörtes Gemeinwesen wieder in Gang zu bringen. Es geht um Wasser, Licht, Strom, neue Brücken über die Neretva, um eine Stadt, in der sich die Menschen frei bewegen können, in der man sie nicht fragt, ob sie Serben sind, Muslime oder Kroaten.

Begleitet wurde Koschnick während seiner Zeit in Mostar von Mirjam Quinte und Pepe Danquart. Ihr Dokumentarfilm NACH SAISON berichtet von dem Versuch, eine Stadt wiederzubeleben, in Schwarzweiß, in der Farbe und im Format der Wochenschauen. Man meint Bilder und Photos zu sehen, die über fünfzig Jahre alt sind, aus denen aber HipHop-Musik kommt, und die Scharfschützen heißen ,Sniper' wie in den Filmen aus Hollywood.

Das alte, unversehrte Mostar kommt in Nach Saison nur als Geschichte vor, die ewige Zeiten zurückliegt. An das Symbol der Stadt, an die vierhundert Jahre alte Brücke Stari Most, die die Stadthälften und die Menschen miteinander verband, erinnern sich die Leute mit einem schmerzlichen Lächeln, das sagt: damals wußten wir noch nicht, was Krieg ist. Geblieben sind von der alten Brücke die beiden Turmruinen an jeder Seite des Flusses, dazwischen eine labile Hängekonstruktion, um die man fürchten muß.

Wenn die Menschen beginnen, ihr Leben zurückzugewinnen, hängt immer ein Schatten über dem Glück. Ein Fest, die Leute tanzen, drei Mädchen flanieren zur Neretva, der Krieg ist kurz vergessen, um mit einem Wort, einer Geste und einem Schnitt in den Alltag zurückzukehren und sich dort festzukrallen. Während die Trümmer zur Seite geräumt werden, halten die ethnischen Säuberungen in den Stadtvierteln an, wird die Teilung Mostars zementiert. Nach dem Krieg ist vor dem Krieg.

 

Die Regisseure zu ihrem Film (Mirjam Quinte, Pepe Danquart, Januar 1997)

Die Politiker haben Verträge unterzeichnet - es ist ,nach dem Krieg' in Bosnien. Eine Zeit, in der Kriegskorrespondenten abziehen und das Interesse der Weltöffentlichkeit schwindet. Eine Zeit, in der die Menschen vorsichtig aus einem Alptraum erwachen und anfangen wollen zu begreifen, die Trümmer beiseite räumen und mit dem Wiederaufbau Schritte in Richtung ,früheres Leben' gehen. In Mostar sollte dieser Prozeß durch finanzielle und politische Hilfe der Europäischen Union (EU) unterstützt werden. Hans Koschnick wurde EU-Administrator auf Zeit. Seine Arbeit, die Stadt und vor allem die Menschen auf diesem Weg zur ,Normalität' wollten wir filmisch begleiten und gaben unserem Projekt den Arbeitstitel 'Nach dem Krieg'.

Er traf nicht zu. Die Opfer hatten die Hoffnung verloren, die Täter waren nicht bereit aufzugeben. In einer aufgeladenen Atmosphäre, der ständigen Kriegsgefahr, erfährt das Leben eine ungeheure Verdichtung. Angst, Freude, Haß, Hoffnung und Verzweiflung - Emotionen auf engstem Raum und zur selben Zeit. Es ist schwer für die Menschen, Worte zu finden, wenn der Verstand keine Grundlage mehr hat zu begreifen. "Filmt doch, was Ihr seht", sagen sie uns. Doch Bilder dafür zu finden ist genauso schwer wie Worte. Wir hatten zwei Jahre Zeit dafür. Eine wertvolle Voraussetzung, um diesen Film zu machen.

Auch Hans Koschnick hatte zwei Jahre Zeit - zuwenig. Zuwenig jedenfalls, um nationalistische Träume in West-Mostar einzudämmen. Denn Koschnick verband mit dem Modell Mostar auch eine Hoffnung: Politik nicht nur mit Militär und Diplomatie zu betreiben, sondern mit ökonomischen und humanitären Mitteln. Vieles ist ihm geglückt, doch Wesentliches nicht. Dafür fehlte es am Willen der europäischen Diplomatie, diesen Weg konsequent bis zum Ende mitzugehen.

 

 

Mirjam Quinte wurde 1952 geboren. Sie studierte Kommunikationswissenschaften in Freiburg und war 1978 Mitbegründerin der Medienwerkstatt Freiburg. Seitdem arbeitet sie als Regisseurin, Kamerafrau und Produzentin für Dokumentarfilme. Sie lebt und arbeitet in Freiburg.

Filme (Auswahl). 1981: Paßt bloß auf. 1983: Die Bankrotterklärung. 1984: Ein Wort kann eine Karikatur sein - Friede. 1986: Geisterfahrer - eine utopische Kolportage. 1988: Schatila - auf dem Weg nach Palästina. 1991: ... und andere Ergüsse. 1993: Phoolan Devi - Rebellion einer Banditin. 1994 - 97: Nach Saison.

 

Pepe Danquart, geboren 1955, studierte Kommunikationswissenschaften in Freiburg/Breisgau und war wie Mirjam Quinte Mitbegründer der Medienwerkstatt Freiburg. Seit 1978 arbeitet er als Regisseur und Autor für Dokumentarfilme, ,Dokudramen' und Spielfilme. Seit 1991 lebt und arbeitet er in Berlin. Für seinen Kurzfilm Schwarzfahrer erhielt Danquart 1994 einen Oscar.

Filme (Auswahl). 1981: Paßt bloß auf. 1982: S' Weschpennäscht. 1983: Die lange Hoffnung (Forum). 1984: Ein Wort kann eine Karikatur sein - Friede. 1986: Geisterfahrer. 1987: Schatila. 1988: Borinage - Das verratene Land. 1989/90: Daedalus. 1993: Schwarzfahrer. 1993/94: Phoolan Devi. 1995: Old Indians never Die. 1996: Elsaß - Streifzüge. 1994 - 97: Nach Saison

(Alle Informationen: Internationales Forum des Jungen Films 1997.)


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