Der Mann, der die Sterne macht
I 1994 (L'uomo delle stelle) Regie und Story Guiseppe Tornatore, 95 Min.
Wer den wunderbaren "Cinema Paradiso" von Tornatore sah, weiß, wie der aus Sizilien stammende Regisseur über seine Heimat denkt. Damals drängte der Filmvorführer Alfredo (Philippe Noiret) seinen Schüler Toto aufs Energischste, die Insel zu verlassen. Jetzt reist Joe Morelli mit seiner Kamera durch eindrucksvoll schroffe Landschaften und karge Dörfer. Für ein paar Lira "Aufwandsentschädigung" verspricht er den armen einfältigen Menschen eine Filmkarriere, denn Joe ist der Mann, der die Stars macht. Er sucht Gesichter für eine große Filmgesellschaft im fernen Rom. Vor seiner Kamera lassen die Menschen ihr Elend zurück. Ein ganzes Dorf übt die verteilten Sätze aus "Vom Winde verweht" - sogar die Stummen und die Nonnen. Familiengeschichten, politische Reden, philosophische Betrachtungen, grausame Erinnerungen. Das Vorsprechen gibt nur das Stichwort, für den dramatischen Ausbruch der eigenen Erlebnisse. Einfache Schäfer, Kinder, junge Frauen, Mafiosi - alle lassen sich von Joes Kamera verführen. Carabinieri machen für eine Probeaufnahme Verkehrskontrollen. Blutlüsterne Räuber verzichten für die Kamera aufs Morden.
Tornatore beginnt seinen Film wie eine versteckte Dokumentation der Menschen und der Geschichte Siziliens. Die ursprünglichen Gesichter, die Joe sucht, erzählen für Tornatore die zu ihnen passenden Geschichten. Die Zweifel an der großen Illusion Kino sind spürbar: Ist Joe ein Betrüger, entwickelt er wirklich die vielen Meter Film mit den intimsten Geschichten der aufgenommenen Menschen? Unter die herzliche Begeisterung für die Filmwelt mischt sich Bitterkeit wegen der Macht ihrer Verführung. Joe Morelli läßt nur Wartende zurück. Die Szenensammlung des Films - in "Cinema Paradiso" der glückbringende Höhepunkt - ist eine erschütternde Erinnerung verlorener Momente. Nur der Film in Joes Kopf nahm die einmaligen Geständnisse auf.
Selbst die Liebe der geschundenen Beata, die einzigen die Joe je mitnahm, muß warten. So wird am Ende das eingeflochtene Nachdenken über die Lüge der Illusion von einer großen Liebesgeschichte überlagert. Einer tragischen - aber was ist anderes von Tornatores Sizilien zu erwarten?
Eine kluge, persönliche und ehrliche Geschichte, die göttlich gefühlvolle Kamera von Dante Spinotti, die Musik von Ennio Morricone - in jeder Hinsicht ist "Der Mann, der die Sterne macht" ein Meisterwerk. Wunderbare Plansequenzen der kleinen Stadt im Schauspielfieber und Schattenspiele weisen Tornatore als Mann des Kinos aus, für das er aber nicht seine Wahrheit über Sizilien verrät.
Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik
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