Secrets and Lies

GB 1995 (Secrets and Lies) Regie Mike Leigh, mit Timothy Spall, Brenda Blethyn, Phyllis Logan, Marianne Jean-Baptiste, Claire Rushbrook u.a., 142 Min.

Der Alltag von Maurice ist es, Leute zum Lachen zu bringen: In seinem Fotoatelier gewinnt er den grimmigsten Kunden ein Lächeln für den Schnappschuß ab. Seine Frau pflegt er bei prä- und postmenstrualen Attacken. Als 17-jähriger kümmerte er sich schon um das Kind seiner zu jungen Schwester Cynthia. Maurice ist ein großer, dicker und gutmütiger Bär, doch dieser Film wird eine ganze Menge von ihm verlangen.

In einer scheinbar entfernten Welt will Hortense nach dem Tod der Adoptiveltern ihre leibliche Mutter finden. Als erste Überraschung hat diese eine weiße Hautfarbe, während Hortensens ziemlich dunkel ist. Auch sonst sind Hortense und Cynthia sehr verschieden: Hortense hat ihr Leben geregelt, alles scheint übersichtlich und klar wie die Wohnungseinrichtung. Schon als Siebenjährige erfuhr Hortense in einer offenen Familie von ihrer Adoption. Die Optikerin ist offen zu Menschen, kann gut mit ihnen umgehen. Cynthia säuft in ihrer schäbigen Wohnung, jammert mit piepsiger Stimme ihrer Tochter Roxanne etwas vor. Die hingegen verbreitet mit extrem dickem Schmollmund Mißstimmung - auch ohne viel zu sagen.

Doch Cynthias lebt nach den ersten netten Treffen mit Hortense schnell auf, sieht gepflegter aus. Ihr einfaches Wesen und die Fröhlichkeit von Hortense passen gut zusammen. Doch noch weiß niemand von dem Wiedersehen, kaum jemand erfuhr überhaupt, daß Cynthia vor Roxanne ein anderes Kind hatte. Zum dramatischen, überspannten und erleichternden Klimax findet sich die ganze Gesellschaft mit Anhang (in einem Bild) bei Maurice zum Barbeque ein ...

Das Wundersame an "Secrets and Lies" ist die konstante Anwesenheit von Parodie und bewegendem Ernst im gleichen Moment! Die Menschen sind schrecklich einsam mit ihren unausgesprochenen Lügen und Geheimnissen. Verlassen in ihrem Schmerz, mit Leben und Arbeit zutiefst unglücklich. Betroffenheit und Humor sind für die Zuschauer untrennbar. Dabei sind die Figuren oft hart an der Grenze zum Lächerlichen, obwohl immer verständlich bleibt, was sie tun - oder eher nicht tun. Das kann auch nerven, wenn anständige Schauspieler andauernd aufs Heftigste ihre Gesichter verziehen, um naive, einfältige Charaktere zu imitieren. Wesentlich angenehmer ist es da, wenn Leighs britischer Regie-Kollege Ken Loach Laien sich selber spielen läßt (z.B. in "Riff Raff"). Das wirkt auch komisch, macht das Unerträglich auch leichter, die ganze Situation aber nicht peinlich.

Leighs "Secrets and Lies" ist ein eindringliche Plädoyer für Offenheit, auch wenn es den anderen (vielleicht) verletzen könnte. Es gibt viel zu viele Geheimnisse und Lügen in dieser seltsamen Familie, die Neugierde bleibt so gespannt, der Film von gut über zwei Stunden Länge sehr, sehr kurzweilig. Nicht alle Geheimnisse werden gelüftet, einige besonders schreckliche Vermutungen bleiben erspart. Leigh baut noch ein paar zusätzliche Scherze ein, läßt Hortense zum Beispiel mit einer weißen Gesichtsmaske herumlaufen. Ein vor allem im Vergleich zum bösartig düsteren "Naked" sehr schön ausgewogener Film, der berührt und wieder beruhigt. Die Verstörung bleibt im Film, das Vergnügen nimmt man mit hinaus.

In Cannes gab es eine Goldene Palme für den Film und eine für Brenda Blethyn, die Darstellerin der Cynthia.

Günter H. Jekubzik

Vier von fünf möglichen Bekenntnissen für "Secrets and Lies"


Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik

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