Die letzten Tage

USA 1998 (The Last Days) Regie James Moll, 90 Min.

Die Dokumentation über fünf ungarische Juden und ihr Überleben des Holocausts ist die dritte Produktion der Shoah Foundation von Produzent Steven Spielberg. "Die letzten Tage" sind jedoch auch als "Waschzettel" für ein wesentlich umfangreicheres Werk zu sehen:

Steven Spielberg gründete 1994 mit der Erfahrung und den Einnahmen aus "Schindlers Liste" die "Survivors of the Shoah - Visual History Foundation", setzte damit ein deutliches Zeichen der Rückbesinnung auf sein Judentum. Shoah ist das hebräische Wort für Holocaust und die Stiftung will möglichst viele Zeugenaussagen von Juden, die dem organisierten Massenmord der Nazis entkamen, für die Nachwelt festhalten. Da diese Menschen alle über sechzig Jahre alt und oft auch körperlich schwer geschädigt sind, ist Eile geboten. Bis Anfang 1999 wurden über 50.000 Interviews in 57 Ländern und 31 Sprachen geführt. Ein Projekt, dessen Bewertung erst späteren Generationen ansteht.

In "Die letzten Tage" erzählen Juden aus Ungarn, wo die Vernichtung angesichts des schon verlorenen Krieges noch einmal besonders effektiv durchgeführt wurde, wie sie Eltern und Geschwister in die Gaskammern gehen sahen, wie sie die verkrampften, ineinander verhakten Leichen ihrer Freunde aus den angeblichen Duschräumen in die Krematorien bringen mußten. Wenn schon eines dieser Schicksale untragbar und unerträglich erscheint, wie unvorstellbar ist dann Grauen 50.000-fach? Nach diesem für alle Beteiligten emotional sehr schweren Interviewteil erfolgt die technische Aufbereitung des gigantisches Materialberges.

Weil das Projekt den individuellen (Lebens-) Horizont überschreitet, ist die Frage der Archivierung so wichtig: Wie erhalte ich Zeugenberichte für Zeiträume, deren Einheit nicht mit Jahren oder Jahrzehnten zählt, sondern mit Generationen? Ein Stück Film erzählt seine Geschichte nur mit sehr viel Glück ein Jahrhundert lang, das heutige, "moderne" Material nicht mal 30 Jahre. Beim Papier das Gleiche: Dank neuer Materialien zersetzen sich Bücher durch ihre eigene Säure.

So werden die durchnumerierten Interviews in einem zentralen Archiv auf dem Gelände der Universal Studios digital gespeichert und in den fünf zukünftigen Dokumentationszentren der Shoah Foundation über Glasfaserkabel zur Verfügung gestellt. Die Begegnung mit der Erinnerung soll interaktiv werden. Eine erste CD-ROM wird in us-amerikanischen Schulen zum Einsatz kommen. Unter diesen Bedingungen ist auch die Dokumentation "Die letzten Tage" zu sehen. In typisch amerikanischer Doku-Manier - wie es Guido Knopp so furchtbar imitiert - wurde Geschichte flott abgerissen, historisches Bildmaterial bedenkenlos dramatisch-dekorativ eingesetzt. Die immer wieder aufs Neue erschreckenden und erschütternden Lebensgeschichten enden jeweils mit einer pathetischen Hymne auf die amerikanische Freiheit. Dabei gerieten die Erinnerungen der Überlebenden teilweise in den Hintergrund. Viele ähnliche Dokumentationen widmen sich ihren Menschen intensiver, "Die letzten Tage" scheint immer auch Trailer für die Shoah Foundation zu sein.

Gewiß ist, daß Spielbergs Rede vom einmaligen Zeitpunkt seiner Aktion nicht korrekt ist. Zwar müssen die Interviews bald geführt werden, aber Zeugnisse zwischen Dokument und Kunst gab es auch in den Jahrzehnten vor der "Foundation"! Allein Claude Lanzmanns als "umfassend" bezeichnete Dokumentation "Shoah" setzte künstlerische und inhaltliche Maßstäbe, hinter denen "The Last Days" weit zurückbleibt. Doch vielleicht gelingt es Spielberg erneut, sein Anliegen in einer - seit der TV-Serie "Holocaust" - nie gekannten Popularität zu verbreiten.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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