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Die Legende vom Ozeanpianisten

I /USA 1999 (Novecento) Regie Giuseppe Tornatore, 120 Min., mit Tim Roth, Pruitt Taylor Vince, Bill Nunn, Clarence Williams III, Melanie Thierry

Eine unerhörte Geschichte um ein außergewöhnliches Leben, eine kleine Geschichte auf dem großen Ozean. Im üppigen CinemaScope erzählt Giuseppe Tornatore ("Cinema Paradiso", "Der Mann, der die Sterne machte") vom Pianisten eines Ozeandampfers, der nie einen Fuß an Land setzte.

Es ist die Geschichte von Neunzehnhundert, dem Pianisten des Ozeandampfers Virginian, der von Europa nach Amerika fährt. Neunzehnhundert wurde - wann wohl? - nicht geboren, sondern auf dem Schiff gefunden als bereits alle Passagiere von Bord waren. Der massige Heizer Danny (Bill Nunn) zog den erstaunlich klugen Neunzehnhundert liebevoll in einem grandiosen Maschinenraum auf, nur eine Frage wollte er nie beantworten: Was ist "Mama"? Beim Begräbnis seines Ziehvaters Danny hört Neunzehnhundert erstmals Musik und folgt ihr bald bis in die letzten Feinheiten. Musik wird ihm ab nun Vater und Mutter sein, niemals entläßt ihn jedoch der Bauch der riesigen Virginian.

Ein paar Jahre später steigt der Film mit einer fantastischen Piano-Rutschpartie des mittlerweile erwachsenen Neunzehnhunderts (Tim Roth) wieder ein. Gegen Seekrankheit hilft das nicht, doch es gründet eine lange Freundschaft mit Max Tooney (Pruitt Taylor Vince), Trompeter und Off-Erzähler des Films. Die Jahre vergehen, Neunzehnhundert spielt mit und in jeder Klasse, improvisiert zu den Gesichtern der Passagiere. Trifft Einstein und Piazzola, liefert sich einen packenden Wettkampf mit Jerry Roll Morton, dem "Erfinder des Jazz", der als einziger Schwarzer in die 1. Klasse darf. Doch immer wenn die anderen Amerika entdecken, bleibt Neunzehnhundert allein zurück. Denn seine Angst vor dem Unbekannten bezwingt das musikalische Genie nicht: Er will zwar an Land, "um sich von dort den Ozean anzuhören", scheitert aber beim Anblick eines unendlichen Straßenlabyrinths: "Das Land ist ein zu großes Schiff für mich ...."

Mit Max verlassen wir 1933 das Schiff, lassen Neunzehnhundert zurück, der anscheinend zeitlos wie ein Unsterblicher zu dem Ozeanriesen gehört. Erst nach der ausgeblendeten Kriegszeit kehrt der verarmte Trompeter wieder, um in den Eingeweiden eines schrottreifen Sanitätsschiffes seinen Freund zu suchen.

Mit häufigen Rückblenden läßt Regisseur Tornatore den Trompeter Max diese faszinierende Geschichte einer immer glücklichen aber doch tragischen Figur erzählen. Wie schon in "Cinema Paradiso" und in "Der Mann, der die Sterne machte" gelingen dem Italiener stimmungsvolle und poetische Momente, fellineske Traumbilder von Amerika und aus dem Schiffsbauch. Auf der einzigen Plattenaufnahme Neunzehnhunderts speichert er das Gefühl einer flüchtigen Liebe, im finalen Dialog breitet er überzeugend dessen tragische Philosophie aus, die zwar aus dem begrenzten Vorrat der Musik unendliche Welten schafft, die unendlichen Möglichkeiten der Welt jedoch nicht akzeptieren kann.

Nach seinem großen Erfolg in Italien (6 Davids!) kürzte der Oscargewinner Tornatore "Novecento" (so der Orignialtitel) für den amerikanischen Markt um ganze 45 Minuten! Wir bekommen nur diese internationale Fassung zu sehen. Schade - denn gerne hätte ich mir mehr erzählen lassen.

(Ärgerlich ist ebenfalls die offensichtliche Beschränktheit der Titanic-Software für Ozeanriesen. Sie ist anscheinend so unflexibel, dass man bei jeder Schiffsansicht den Eisberg förmlich riecht.)


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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