Das Leben ein Pfeifen
Kuba/Spanien 1998 (La vida es silbar) Regie Fernando Pérez,106 Min.
Nein, nicht schon wieder eine Rentnerband, die überaltert ihrLeben auf einer Europatournee heraus pfeift ... Ein Film aus Kuba undmal was anderes: Drei Menschen in Havanna - kein Wenders in derNähe. Deshalb wurde "Das Leben ..." ein poetischer, verspielter,ein sehenswerter Film. (Fast wie ein guter Wenders.)
Eine junge Erzählerin mit Kunstmond im Hintergrund und derSpielzeugstadt Havannas vor sich, taucht ein in die Suche nachGlück in Form der Liebe. Ihr Figuren sind Mariana, Julia undElpidio. Die Tänzerin Mariana entblättert in denStraßen genüßlich junge Männer mit den Augen.Ihr Kreuz sind die Geschäfte mit Gott: Erst der Schwur, diebeste Tänzerin von allen zu sein, dann das Entsagen der eifriggenossenen Männer in Tausch für die Hauptrolle im Ballett.Richtig schön leidenschaftlich verfällt sie dann aberausgerechnet ihrem Tanzpartner rettungslos. Die Pflegerin Julialäßt das Schicksal in die Arme eines Psychologen inOhnmacht fallen. Er analysiert klar: Es ist eine weit verbreiteteAngst vor bestimmten Worten, die Ohnmacht auslöst, bei Julia istes "Sex" bei anderen Freiheit, Doppelmoral, Opportunismus, Angst vorder Wahrheit. Elpidio, der seine über alles geliebte Mutter Cuba(!) sucht, kann sich nicht zu einer aktuellen Liebe bekennen.
Die warmen Farben der Stadt stammen aus dem dokumentarischenBereich, in dem der Filmkritiker und Regisseur Fernando Pérezviele Jahre drehte. Dazu kommen expressive Kunstmomente, reineFarben, betörende Tableaus. Pérez hat sich nach eigenerAussage von Magritte inspirieren lassen.
Eine Menge Musik (alte Lieder, Ballettmusik, nicht nur die SocialClub-Schiene) unterstützt die poetische Bilder. Das pfeifendeLeben ist am stärksten, wenn die Worte von den Bildern abfallenund klar zu ihrer Falschheit stehen. Eigentliche Aussagen in Dialogund Situation gelingen weniger.
Dabei ist allein die Tatsache, überhaupt einen Film zumachen, im Kuba von heute schon eine Kunst. (Die SchweizerDokumentation über die Dreharbeiten heißt übrigens"La vida es filmar" - Das Leben, ein Filmen.) Selbst für dieimmer hochgehaltene (Film-) Kultur bleibt auf der einsamen Insel desSozialismus umgeben vom kapitalistischen Embargo nicht vielübrig. Das Geld fürs lebendige Pfeifen kam auch aus demAusland.
Nach dem Motto "Was zum Teufel ist Nahrungsmittelrationierung?"bleibt das konkrete Leben trotzdem draußen. Da freuen sich dieZensoren und die Zuschauer genießen die nicht zuübersehenden Andeutungen. Das ängstliche Pfeifen im prallenSonnenschein wird nie deutlich, bleibt dafür ganz schönschön. Politische Reden werden mit einer Gähnorgie in denHintergrund gehaucht. Drei Entscheidungen. Zwischen Gott und Liebe,zwischen der Mutterliebe zu Cuba und der Liebe zur Fremden mit demBallon der Freiheit, zwischen Entsagung und Liebe. Alles läuftauf den 4. Dezember, 4 Uhr 44 hinaus. Am Platz der Revolution findetsich ein grandioses Finale zusammen. Das bittersüße,höhnische Ende: Absolutes Glück im Jahre 2020, alleMenschen pfeifen - La vie en rose mit Tränen im Gesicht.
Die dramatische Komödie erhielt eine Reihe vonFestivalpreisen - u.a. in Sundance, Rotterdam und Berlin. Siebrachten den Film ins Kino. Er kommt kunstvoll und gekonnt, dabei zugewollt in seinen Aussagen, was bei dieser Länge dieLeichtigkeit verfliegen läßt. "Das Pfeifen ..." ist nichterste Sahne mit Schokoladenhäubchen, aber ein fruchtige,reizvoll arrangierte Erdbeerschale mit dem Puderzucker desSurrealismus.
Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik
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