Kinsey

USA 2004 (Kinsey) Regie: Bill Condon mit Liam Neeson, Laura Linney, Chris O'Donnell 119 Min. FSK ab 12

Die Biografie des amerikanischen Biologen Alfred C. Kinsey (1894 -1956), der mit seinem Kinsey-Report das Bewusstsein von Sexualität revolutionierte, ist erschreckend perfekt getimt. Liam Neeson spielt den spleenigen Wissenschaftler, der zuerst zehntausendfach Insekten untersuchte, bevor er mit zahllosen persönlichen Interviews die verschwiegene Sexualität des amerikanischen Mannes bloßlegte. Das war in den Fünfzigern ein Skandal, als man noch verbreitete, Masturbation führe zur Erblindung. Und das ist heute wieder ein Skandal. Während die Bush-Jünger mit Unwahrheiten Enthaltsamkeit predigen, haben es Geschlechtskrankheiten dank neuen puritanischer Unwissenheit leichter und Schwangerschaften unter Jugendlichen erreichen gerade in den konservativen Bundesstaaten Rekordhöhen. Da darf es einen mut machenden und aufklärenden Film wie "Kinsey" nicht geben. So wird das sympathische Porträt von verschiedensten Organisationen angegriffen. Wie Kinsey damals vom FBI-Chef Hoover, dem mörderischen Saubermann, der heimlich als Transvestit schillerte.

Regisseur Bill Condon (Gods and Monsters) vermeidet von Anfang an die Seichtheit üblicher Film-Biographien. Da beantwortet ein alter Kinsey selbst seinen eigenen, ausführlichen Fragebogen. Details über Kindheit und Jugend mit einem lieblosen, harten Vater. Der Moralprediger sieht sogar den Reißverschluss als eine der vielen Erfindungen der Hydra der Unmoral. Alfred Kinseys Flucht aus dem Haus und seine Naturverbundenheit bringt ihn zur Biologie. Dort untersucht der exzellente Klavierspieler und einsame Fachidiot Kinsey (Liam Neeson) erst jahrzehntelang Insekten, um die Einzigartigkeit jedes Individuums zu erkennen. Doch auch für den mittlerweile als Professor lehrenden Tropf findet sich ein Deckelchen: Die emanzipierte Studentin Clara McMillen (Laura Linney) fliegt auf ihn. Doch in den Fünfzigern galt: Kein Sex vor der Ehe. So wird die erste Nacht eine Katastrophe für beide. Aus eigener leidvoller Erfahrung startet der Biologe nun in Konkurrenz zum lächerlichen Hygienekurs seinen Eheberatungs-Kurs. Obwohl ein riesiger Erfolg, stellt der Wissenschaftler fest, dass niemand etwas über Sexualität weiß, und startet seine Feldforschung in Nordamerika, die in dem sensationellen Kinsey-Report mündete.

Die unsichere Frage "Bin ich normal?" beantwortet Kinsey mit seiner Veröffentlichung über die überraschende Vielfalt der Liebes- und Lebensformen. Womit er viele Leben rettete. Die von konservativen Kreisen propagierte Norm erweist sich als realitätsferner Unterdrückungsmechanismus. So entdeckt Condons unterhaltsamer und einfühlender Film nicht nur eine wichtige Figur der Kulturgeschichte, auch der Spaß am Sex und am Leben spielt eine große Rolle. Mit allen schmerzhaften Gefühlen in Folge radikal freier Entfaltung, die Kinsey am eigenen Leib erfährt.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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