Kikujiros Sommer

Japan 1999 (Kikujiro) Regie und Buch: Takeshi Kitano, 116 Min.

Harte Kerle und sanfte Filme

Weshalb bringen vermutlich längst ertaubte Hardrocker immer wieder recht feine Balladen zustande? Dieses große Rätsel der Menschheit erlebt nicht nur bei Clint Eastwood ein filmisches Äquivalent: Takeshi Kitano ist hierzulande nur als überhaupt nicht zart besaiteter japanischer Gangster-Darsteller und -Regisseur (etwa von "Hana-Bi") bekannt. Das wunderbar sanfte und zärtliche Roadmovie "Kikujiros Sommer" wirkt auf diese Erwartungen paradox wie ein Faustschlag mit einer Pusteblume.

Masao, ein stiller, etwas ungeschickter achtjähriger Junge bleibt zu Beginn der Ferien allein bei seiner arbeitstätigen Großmutter, die ihn aufzieht. Er macht sich auf die Suche nach seiner Mutter, die er nie gesehen hat. Kikujiro (Beat Takeshi / Takeshi Kitano), ein ehemaliger Yakuza, soll den hilflosen Jungen begleiten. Sein Taschengeld verspielt der gestandene Kerl allerdings schnell bei Keirin-Wetten. Das ungleiche Paar reist von nun an ständig pleite durchs Land. Die zwangsläufigen Fahrten per Anhalter bringen es mit vielen anderen, oft noch skurrileren Menschen zusammen. Bei umwerfend komischen Versuchen, einen Wagen zu stoppen, driftet "Kikujiros Sommer" zum Slapstick ab und ahmt auch mal Stummfilm-Ästhetik nach. Expressionistische Alptraum-Sequenzen faszinieren und irritieren gleichermaßen. Dann kommt der Film wieder sehr still und poetisch daher, wenn ein Engelsglöckchen dem enttäuschten Jungen Trost spendet. So ist der wundersame Ausflug eines ungleiches Paares auf der Suche nach verschwundenen Müttern auch ein filmisches Kabinettstückchen, bei dem Kitano mit vielfältigen Fähigkeiten unauffällig bezaubert.

Die reizvolle Mann-mit-Kind-Konstellation hat Tradition: Von Chaplins "The Kid" bis zum tschechischen Oscar-Sieger "Kolya". "Kikujiros Sommer" gibt sich als - die originellen, von Kitano gezeichneten Zwischentitel zeigen es - kindliches Tagebuch der Sommerferien. Es ist vielleicht etwas zu lang und nicht mehr als eine nette Geschichte - aber dem Herzen und der Seele reicht das spürbar. Kitano gelingt eine schwebende Verbindung von Humor und Traurigkeit, scheinbar simpel aber unverstellt in seinen Gefühlen.

Kikujiro ist ein einfältiges Großmaul, ein ruppiger Kerl, ungeschickt im Umgang mit kleinen und großen Menschen. Er legt sich dauernd an, so dass man sich eher um ihn als um den Jungen sorgt. Der Möchtegern-Gangster ist selber noch ein kleines Kind. Seine Film-Frau meinte zu Beginn: "Hör' auf, Gangster zu spielen." Das läßt sich durchaus biographisch verstehen. Denn dieser Film und Kitanos Hauptrolle darin stellen wieder einen Bruch in dem an sich schon schwer zu fassenden Schaffen des schillernden Künstlers Takeshi Kitano dar: Als Schauspieler, TV-Entertainer und -Komiker nennt er sich Beat Takeshi und ist in den japanischen Medien ein Superstar. Zeitweise war er in bis zu neun Sendungen pro Woche zu sehen! Seit 1989 führte er Regie in sieben Filmen, die allerdings eher im westlichen Ausland Anerkennung fanden.


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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