Max Ophüls Preis 1998

Zwei Wochen vor das große Filmgeschäft der Berlinalehat der Festivalkalender in Saarbrücken DAS Nachwuchsfestivalfür den deutschsprachigen Film gesetzt. Das "Filmfestival MaxOphüls Preis" ist nicht bundesdeutsch: Schweizer undösterreicher Filme sind regelmäßig im Wettbewerb und1993 gewann mit Pol Cruchtens "Hochzäitnecht" sogar einLuxemburger den Max Ophüls Preis, der zur Zeit 30.000 DMeinbringt. Zusätzlich gibt es eine Verleihförderung von30.000 DM wenn der siegreiche Film vielleicht doch mal in derSchweiz, Österreich oder Deutschland ins Kino kommen sollte.

Im Kino liegt nun auch das Problem - vielleicht nicht desFestivals, aber des deutschen Filmnachwuchses. In Saarbrückendreht es sich seit 19 Jahren um die Förderung deutschsprachigerNachwuchsregisseurinnen und -regisseure. Auch in diesem Jahr belohnteein Wettbewerb aus 19 Beiträgen (in nur vier Tagen!) seinPublikum mit guten Geschichten, etwas Engagement und ein wenigInnovationsfreude. Wenn man aber die Siegerliste seit NiklausSchillings "Willi-Busch-Report" aus dem Jahre 1980 betrachtet, kamendie - zum Teil noch aktiven "Hoffnungen" - nie groß im Kinoraus. Und auch der diesjährige Sieger ist schon voll demFernsehen verschrieben. Aber dazu später mehr.

Ideologiefrei und handlich kurz In Saarbrücken laufenhauptsächlich Spielfilme und "Dokumentarfilme mitspielfilmähnlichen Charakter". Ideologien oder Stilrichtungenhat sich der Max Ophüls Preis unter der Leitung von ChristelDrawer nicht verschrieben - wenn man dies nicht gerade als Ideologieansieht. Viel zu Lachen gibt es, humoristische Versuche und Erfolgesieht man überdurchschnittlich oft im Programm. Ansonstenheißt es im Reglement nur locker "Erstaufführungen werdenbevorzugt angenommen". So konnte das Historiendrama "Gesches Gift"schon am Wochenende vor dem Festival beim ZDF laufen. Derüberrätselte "Marthas Garten" hat schon andereFestivalstarts hinter sich und "Blutrausch" läuft bereits sehrerfolgreich in österreicher Kinos. Sebastian Peterson, der einenKurzfilmpreis für die witzige und intelligente Parodie "Fake"entgegennahm, verkündete auf der Bühne, er seiüberglücklich, denn sein Film sei ja schon auf 40 Festivalsgewesen und hätte noch keinen einzigen Preis bekommen. So istdas Max Ophüls-Programm nicht unbedingt das uraufführigste,aber schön unverkrampft im Vergleich zu konkurrierendenFestivals, die immer wieder das Reglement strecken und biegen, um esihren Film-Philosophien überzustülpen.

Und die Saarbrücker Filme sind so schön kurz: Wo sichrenommierte Filmregisseure erdreisten, ihr Publikum über dreiStunden in eisiger Langeweile zu versenken, wird hier in handlichen90 Minuten munter erzählt. Denn Zeit ist Geld und der Nachwuchskann sich selten viele Filmmeter leisten.

Saarbrücken ist als kleines Städtchen im Westen auchLandeshauptstadt, die sich Kultur leisten muß und kann. DerTitel des Festivals ehrt den Regisseur Max Ophüls, einen "Sohnder Stadt". Als Max Oppenheimer wurde Ophüls am 6. Mai 1902 inSaarbrücken geboren. 1933 emigrierte der jüdische Regisseurvon Meisterwerken wie "Lachende Erben" nach Frankreich, drehte dort,in Italien und Holland noch einige opulente Inszenierungen undtreffende Komödien, um später in die USA fliehen. 1950kehrte er zurück - nach Frankreich! - und realisierte in seinemSpätwerk unter anderem "Der Reigen" und "Lola Montez".

Die Nähe Saarbrückens zu Frankreich zeigt sich nicht nurdarin, daß im Stadtbild die Wurstbude mit reichhaltig belegtenBaguettes konkurieren. Ähnlich sieht es in der Filmkultur aus:Neulinge drehen drüben mit großen Stars in Cinemascope,während bei uns erstmal mit einfachen Mitteln und auf kleinerFlamme gekocht werden muß. Die ergreifende Trauergeschichte desvierjährigen (!) Mädchens "Ponette" und der romantische underotische Stoff "Der Schrei der Seide", zwei französische Filmeim Rahmenprogramm "Saarbrücker Premieren", gehörten zumBesten des Festivals.

Die Saarbrücker Oskar-Verleihung oder Mammamia! Zu gewinnengibt es in Saarbrücken neben schnödem Mammon dieschönste Nachttischlampe der Filmszene. Der Max OphülsPreis reizt das Auge mit blauen Neonherzen in ein- bis dreifacherAusführung. Die Wahl der Jury für den Max Ophüls Preis1998 wurde mit Hohn und Unverständnis aufgenommen. SandraNettelbeck inszenierte mit "Mammamia" die x-te deutscheBeziehungskomödie, diesmal variiert mit etwas Tiefgang undkonzentriert auf ein Mutter-Tochter-Gespann. Während Clara(Senta Berger) sich aus einer jahrzehntelangen Ehe löst,erfährt Tochter Paula (Christiane Paul) ausgerechnet amMuttertag, daß sie schwanger ist. Das im Film abgestandeneSujet startet mit Witz und gutem Spiel, hält aber das Tempotrotz vieler Ortswechsel der Hauptfigur nur kurzzeitig. Brav von der32-jährigen Sandra Nettelbeck inszeniert, bietet "Mammamia"nicht mehr als anspruchslose TV-Unterhaltung. Die in den USAausgebildete Regisseurin erhielt für ihren zweiten Spielfilmneben dem Hauptpreis auch den mit DM 10.000 dotierten Drehbuchpreis.Die mit dem Max Ophüls Preis verbundene möglicheVerleihförderung von DM 30.000 wird wohl - wie so oft - nichtabgerufen werden. "Mammamia" ist unübersehbar für dasFernsehen produziert. Ein wahrer Gewinn für das weite Felddeutscher Beziehungskomödien! Die Frauenthemen werden nurangerührt, nicht scharf und konsequent durchdacht wie inChristian Petzolds drastischem "Die Beischlafdiebin", der - als einerder wenigen gesellschaftspolitischen Filme - leer ausging.

Während "Mammamia" in den Traditionen herumödet, brechen"Die Siebtelbauern" als zweite große Gewinner inSaarbrücken den Heimatfilm zu einem klugen, fesselnden undmodernen Alpen-Western. Sieben Knechte und Mägde ernten zwischenden Kriegen einen Hof. "Ein Knecht kann nicht Bauer werden," stecktals Naturgesetz in den Köpfen - vor allem bei der feistenBauernschaft. Doch langsam dämmert den Geknechteten unterAnführung der Emmy (Sophie Rois) ihre Chance. Sie kippen nichtnur die Herrschaftsverhältnisse um, sie erproben auchSozialismus, Demokratie und Gleichberechtigung, steigern den Ertrag,indem sie die Kühe so stellen, wie diese es mögen, undbringen sich zwischen doppelten Arbeitsschichten auch noch das Lesenund Schreiben bei. Sogar der kleine Hirtenbub kann in Freiheitplötzlich reden. Eine sagenhafte Utopie, die vor Bild- undBewegungskraft strotzt. Eine Reihe von Sensen mäht in leichtemZeitraffer durch das hohe Gras. Der Weg einer Nachricht schneidetsich graphisch längs in ein Feld ein. Stilleben der Früchteeines guten Jahres deuten in Barocktradition schonVergänglichkeit und das nahe Ende an. Thema und die exzellenteForm verknüpfen sich vielfältig. So teilen sich dieSiebtelbauern nicht nur den Hof, auch die Off-Stimme wechselt unterihnen.

Die angestammten Bauern unter der Führung von Danninger(packend ekelhaft: Ulrich Wildgruber) setzten diesem bedrohlichenFest der Freiheit brutale Gewalt und Lynchjustiz entgegen. Die Utopieendet tragisch, genau wie die andere alte Geschichte, die sich imLaufe der packenden Handlung enträtselt. Als einzige Hoffnungbleibt Amerika, das jedoch im blutigen Finale ganz unauffälligschon da ist. Denn auch aus dem Heimatfilm ist sie bekannt, dieseBrutalität der (menschlichen) Natur.

Stefan Ruzowitzkys Alpen-Western bietet genau das, was immer alsGegengift zu Hollywood gefordert wird: Eigene Geschichten mithandwerklicher Brillanz inszeniert. Der Regisseur sieht den Genrefilmals besten Rahmen für große Gesten: Landschaft,Architektur, Gesichter - das paßt alles. "Die Siebtelbauern"gewannen den Filmpreis des SaarländischenMinisterpräsidenten für die beste bundesdeutscheErstaufführung des Festivals. Stefan Ruzowitzky erhielt fürseinen letzten, ganz anderen Film "Tempo" 1997 den Max OphülsPreis.

Sein Hauptdarsteller Simon Schwarz wurde mit dem Max OphülsPreis 1998 als bester männlicher Hauptdarsteller ausgezeichnet.Als beste Nachwuchsdarstellerin wurde Marie Zielcke für ihreRolle der Julia in dem unsäglichen "Silvester Countdown"belohnt. Mit ihrem Filmpartner schreit, jammert, fickt und ödetsie sich durch ein Zwei-Personen-Elend, das weder als Beziehung nochals Film taugt.

Der mit DM 5000 dotierte Förderpreis der Jury ging 1998 andie Regisseurin Walburg von Waldenfels für ihr historischesMörderinnen-Stück "Gesches Gift". Hervorragend aber ohneAuszeichnung blieben die "Zugvögel" von Peter Lichtefeld. DochJury-Entscheidungen sind halt wie Naturkatastrophen, man kann sienicht aufhalten, man muß sie einfach hinnehmen.

Die Festivalleiterin Christel Drawer schloß mit demAbschiedsfoto aller Sieger eine kunstreiche Preisverleihung ab, aufder auch der saarländische Ministerpräsident ein paarZeilen zu seinem Preisträger ablas. Vielleicht sollte OskarLafontaine einen seiner Leibwächter gegen neue Redenschreiberumtauschen. Bislang ist er cineastisch nicht wählbar, vor allemmit solchen Sätzen: "Mehrere Indizien deuten darauf hin,daß der Film nicht nur ein Medium zum Zeitvertreib ist.Vielmehr bedienen sich engagierte Filmemacherinnen und Filmemacherdes Films als Mittel zur kritischen Diskussion undAuseinandersetzung." (aus dem Festival-Katalog) Setzen, Sechs!Mehrere Indizien deuten darauf hin, daß Sprache nicht nur einMedium zur Zeitverschwendung ist. Vielmehr bedienen sich engagiertePolitikerinnen und Politiker der Äußerung geschickt alsMittel der Werbung und Propaganda. Vereinzelt wird vorher auchnachgedacht.

Die diesjährige Filmauswahl ließ sich gut sehen, undvor allem gut von vielen sehen. So waren die Festivalkinos inSaarbrücken gefüllt. Der Dudenhöfer-Dialekt, der dieEinheimischen so putzig wirken läßt, machte hörbar,daß sich auch die Saarbrücker Bevölkerung am Filmfestbeteiligt. Sehr vertraut waren allerdings auch die Filmemacher; dieFilmauswahl bescherte viele nette Wiedersehen, was zusammen mit demauffällig hohen Durchschnittsalter des "Nachwuchses" nichtunbedingt für Innovation oder Frische steht. Im nächstenJahr kann der Max Ophüls Preis seine 20. Ausgabe begehen undSaarbrücken wird 1000-jährig feiern. Hoffentlich bleibt derMax Ophüls Preis auch dann noch so unprätentiöswichtig.

Günter H. Jekubzik


Eine Kritik von Günter H.Jekubzik

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