Europäisches Filmfest Aachen '97

Von Günter H. Jekubzik

Zum zweiten Male findet im November das "Europäische FilmfestAachen" statt. Vom 26. bis zum 30. laufen Deutschlandpremieren,Previews und andere bemerkenswerte Filme im Atlantis und im Eden.Berühmte Regisseure stellen ihre neuesten Werke vor. 1996 wardas Filmfest eine Sensation für Aachen. 1997 ist es einherausragendes kulturelles Ereignis, das einen genauen Blick auf seinProgramm vertragen kann.

Fliegende Holländer ... ... und andere Reize desEuropäischen Filmfestes Aachen

Fliegende Holländer, saufende Franzosen, lachende Italiener,heldenhafte Belgier, tiefschürfende Schweden, dämonischeNachtwesen aus Deutschland - auch wenn der Eröffnungsfilm "AmEnde der Gewalt" ziemlich amerikanisch daherkommt, bietet dasFilmfest ein pralles Angebot an europäischen Themen und Typen.

Jos Stelling ist zum Beispiel so ein eigentümlicher Kinokauz:Er stammt wie sein Altersgenosse Herman van Veen aus einem einfachenViertel Utrechts. Stelling sagte von sich, daß er "eher Malerals Erzähler" sei. Spannende Storys sind nicht seine Sachen.Dafür ist er ein wahrer Erbe von Breughel und Bosch. Seineersten Filme "Mariken van Nieumeghen" (1974), "Elckerlyc" (1975) und"Rembrandt fecit 1669" (1977) schwelgten im Mittelalter oder belebtenRembrandts Gemälde. International gelang Stelling der Durchbruchmit zwei extremen Typen - die der niederländische Film ja sohäufig präsentiert: "Der Illusionist" (1983) und "DerWeichensteller" (1986). Nun zeigt das Filmfest seinen"FliegendenHolländer" aus dem Jahre 1995.

Ein riesiger Metallkopf wird durchs platte Land gezogen - wohleine Beute einer Kirchenplünderung. Eine Inquisitionshordemeuchelt die Räuber. Nur einer kann sich im Kopf verstecken, umbald in den leidenschaftlichen Umarmungen einer Bäuerin zuversinken. Die brutale Rache des betrogenen Gutsherrn folgt bald. DerFremde wird in ein gewaltiges Dungbecken inmitten des Hofesgehängt, kann aber mit Hilfe eines seltsamen Vogelmenschenschwerverletzt entfliehen. Die Bäuerin stirbt bei der Geburtihres unehelichen Sohns und der Vogelmensch erzählt Jahrespäter dem einfältigen, von Bruder und Stiefvatergedemütigten Jungen die Geschichte seines Vaters, einesKapitäns, des fliegenden Holländers ...

Mitten im Schlamm, in der vom fabulierenden, italienischenVogelmann (Nino Manfredi) beklagten Kulturlosigkeit versteckt sich imDungbecken ein Schatz. Ganz ähnlich diesem Film: Inmitten derdüsteren Geschichte einer finsteren Zeit, zwischen den dumpfenGestalten entfaltet sich ein unfaßbarer Reichtum filmischenErzählens, ein üppiges Opus eigenwilliger Visionen. DerFilm spricht französisch, italienisch, flämisch,niederländisch.

Es ist schier unglaublich, daß es so etwas noch im Kinogibt. Und eigentlich gibt es den "Fliegenden Holländer" auchnicht wirklich im Kino. Obwohl eine Menge Geld der Filmstiftung NRWim Laderaum steckt, wartet er in Deutschland seit zwei Jahren aufeinen Verleiher. In den Niederlanden oder in Belgien war er keinZuschauererfolg. Vielleicht war der "Fliegende Holländer" auchdie Götterdämmerung seines Regisseurs Jos Stelling. Niemehr wird er an das "große" europäische Geld kommen.Dieser begnadete Ausnahmemensch des Kinos kann in Zukunft nur nochseine Landsleute mit seiner Bildpracht beglücken. Bis vielleichtwieder ein Oscar die Welt sehend macht - wie bei Marleen Gorris, derRegisseurin von "Antonia".

Das Programm

Das Programm des Filmfestes stellte Rosemarie Schatter zusammen.Sie vollzieht eine schwierige Balance: Zwischen Preview-Show vonsicher im Kino terminierten Filmen und einer mutigen Förderungguter europäischer Werke. So ist bei den vier Tagen Filmfestfür jeden etwas dabei: 28 lange Spielfilme, Kinder- undFamilienfilme, dazu 3 Kurzfilmprogramme, eine Bergman-Homage und einDokumentarfilm. Und dies meist mit dem seltenen Vergnügen einerOriginalfassung mit deutschen Untertiteln und vor allem ohne Werbung.(Dafür ist allerdings die jetzt schon mögliche Reservierungvon Kinokarten bei der Ufa mit der Unsitte einerSitzplatzreservierung gekoppelt.)

Während die glanzvollen Events im Vergleich zum Vorjahrbescheidener ausfallen, versprechen Filmprogramm und Gästelisteein attraktiveres Festival. Vor allem die Topacts sind nicht ohne:Claude Chabrol mit seiner neuen Komödie "Rien ne va plus" alsDeutschlandpremiere. Wim Wenders mit seiner amerikanischen Gewalt-und Bild-Philosophie"Am Ende derGewalt" als Eröffnungsfilm. Wolfgang Petersen mit der neuen,von ihm autorisierten Kinofassung des TV-Erfolges "Das Boot". Das istein wenig von der Creme europäischen Autorenfilms. Wenn dieangekündigten Gäste Wenders und Chabrol auch wirklichauftauchen, wäre auch die Festivalstimmung gesichert. (Schoneinmal war Wim Wenders in Aachen nur angekündigt: zurEröffnung des Atlantis.)

Unter den vielen reizvollen europäischen Filmen finden sichauch zwei Oscarkandidaten ihrer Länder: "Amore, Amore" (Ilciclone) aus Italien und das packende Generationendrama "Charakter"aus den Niederlanden. Die Kölner Krimikomödie "DieMusterknaben" war eigentlich für's Fernsehen gedacht, nachgroßem Publikumserfolgen auf anderen Festivals, soll sieFebruar im Kino starten. Die Festivalsektion "First Look" bietet indiesem Sinne eine Testplattform für Fernsehproduktionen unduntergegangene Kinofilme. Die Dreiländereck Specials - ein etwasmißverständlicher Name - spiegeln kein Filmschaffen ausdem Dreiländereck wieder. Jedes im Eck vertretene Land ist miteinigen Kurzfilmen dabei und nach den Programmen gibt es Diskussionenmit Regisseuren und Produzenten. Das deutsche Programm mitKurzfilm-Preisträgern zeigt den "übermalten" Nachtfilm"Late at Night", an dem die Aachenerin Stefanie Saghri mitwirkte. Ineinem weiteren Programm mit "Local Heros" dokumentiert MichaelChauvistrés "Schau mich nicht so böse an" dreiAushilfs-Weihnachtsmänner. Kathrin Feistl, Studentin an derDeutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, zeigt ihren Erstling"Pink Pearls" als Vorfilm. Das Atlantis hat eine Art"Talent-Patenschaft" übernommen und verfolgt seit einiger Zeitdas Studium von Kathrin Feistl über monatliche "Briefe ausBerlin" im Programmheft des Kinos

Die Macher

Bei der Neuausgabe des Filmfestes ist die Zusammenarbeit der zweimächtigsten Kinomacher der Stadt besonders bemerkenswert:Nachdem die Ufa das erste "Europäische Filmfest Aachen" mitHelmut Schneiders Eventbüro durchzog, sitzt nun die Konkurrenzder Atlantis Filmtheater mit im Boot. Eine durchaus reizvolleSituation, an die sich auch Ufas Verwaltungsdirektor Michael Beckmannund Atlantis-Chef Dr. Heinz Schiffers noch nicht ganz gewöhnthaben. Das freundschaftliche Lächeln auf Nachfragen überdas Verhältnis der Konkurrenten wirkt noch unsicher. DieBeteiligung am Festival entspricht der Verteilung der Filme: ZweiDrittel laufen im Ufa-Kino Eden, ein weiteres im Atlantis. Ebensointeressant wie der nüchterne Kostenfaktor von 200.000 DM istder risikobereite Einsatz von "Partnern", die auf eigene Rechnungarbeiteten: Die lokale Organisation durch Nike Hauger oder deroffizielle Internet-Katalog des Festivals.


Eine Kritik von Günter H.Jekubzik

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