Berlinale 2004

Festivalberichte von Günter H. Jekubzik und Oliver Schiffers


Die 54. internationalen Filmfestspiele in Berlin
5. - 15. Februar 2004

Emotionale Berlinale

Berlin. Nix zu lachen, aber wir vergeben! Auch die diesjährige Berlinale lässt im Wettbewerb nicht allzu viel Spaß zu. Doch andere Emotionen gibt es reichlich und in der zweiten Hälfte auch Filme, die das Publikum zu Befallsstürmen bringen.

Die 54. Internationalen Filmfestspiele Berlin werden heute Abend die Sieger des Wettbewerbs bekannt geben und auch im dritten Kosslick-Jahr zeigt sich, dass die Berlinale wahrlich kein Comedy-Festival ist. Das verlangt zwar auch niemand, aber vor allem an einem Tag, der mit einem genialen griechisch-türkischen Doppelschlag derart viele Emotionen aufwühlt, wünscht man sich Ablenkung oder Ruhe. Wenn jedoch selbst Robin Williams in der düsteren Zukunftsvision "The Final Cut" keinen Komödianten mehr gibt, ist Hoffnung vergebens.

Mit dem hellenistischen Epos "Die Erde weint" wirft Theo Angelopoulos die junge Eleni in die Wirren der griechischen Geschichte vom Einmarsch der Roten Armee in Odessa 1919 bis zum Bürger- und Bruderkrieg 1949, in dem sie beide Söhne verliert. Der eine kämpfte mit den Rebellen für Freiheit, der andere in der Armee des rechten Regimes. Elenis Mann entfloh schon vorher der Armut und dem Terror gegen die Linken in die USA. Die drei Stunden ruhig atmender Inszenierung brachten mehr Bildkunst und Emotionen über das Publikum als alle anderen Wettbewerbsfilme zusammen. Angelopoulos fehlt in seiner Trophäensammlung zwischen der Cannes-Palme für "Die Ewigkeit und ein Tag" sowie dem Venedig-Löwen noch ein Berlinale-Bär.

Und dann machte der junge Regie-Star Fatih Akin ("Im Juni", "Solino") sein Deutsch-Türkisch-Sein zum Thema, in dem er ein kaputtes Säufer-Leben "Gegen die Wand" fuhr. Danach in der Klinik geht es für Cahit (Birol Ünel) erst richtig los: Widerstrebend willigt er in die Scheinehe mit Sibel (Sibel Kekilli) ein, damit sie dem Terror des türkischen Familien-Machismo entfliehen kann. Doch auch hier bricht die Liebe aus, dabei wollte die junge Sibel erstmal unabhängig ihren Spaß haben. Cahit erschlägt jemanden aus Eifersucht, Sibel geht nach Istanbul und der Film zeigt auf grausam originelle Weise, wie man auch ohne ein Auto sein (altes) Leben "gegen die Wand" fahren kann. Tolle Schauspieler, eine Inszenierung, die kurz und schmerzlos ran geht, Verzweiflung und auch etwas Spaß - damit gewann ein sichtlich gerührtes deutsch-türkisches Ensemble die Herzen im Berlinale-Palast. Minutenlanger Applaus war der Dank.

Damit gesellten sich zwei weitere Favoriten zu dem Starke-Frauen-Western "The Missing", dem intimen Psycho-Kammerspiel "Confidence trop intimes" und der verspielten Romanze "Before Sunset". Richard Linklater lässt darin seine Figuren aus dem Silbernen Bär-Gewinner "Before Sunrise" wieder zusammenkommen, durch Paris flanieren und philosophieren. In wenigen Stunden vor Sonnenuntergang (damals in Wien ging es bis Sonnenaufgang) bekommt die Romanze des Amerikaners Jesse (Ethan Hawke) und der Französin Celine (Julie Delpy) nach neun Jahren eine neue Chance - und Linklater vielleicht einen weiteren Berlinale-Bären.