Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr ...

Fr 2003 (Il est plus facile pour un chameau ...) Regie und Buch Valéria Bruni-Tedeschi mit Valéria Bruni-Tedeschi, Chiara Mastroianni, Jean-Hugues Anglade, Denis Podalydès, Marysa Borini 110 Min.

Fangen wir mit dem Entscheidenden an: Valéria Bruni-Tedeschi! Ausnahmsweise wird jetzt geschwärmt, was das Zeug hält. Die italienisch-französische Schauspielerin hat seit den 80gern zahllose Filme wunderbar veredelt. Meist verkörpert sie verletzliche Gestalten, explodiert dann in wildes Lachen, das in einem Augenblick zu herzergreifender Verstörung umschlagen kann. Sie war die rundliche Konditorsgattin in "Nénette und Boni" (1996). Und dann die knallharte Polizistin in Claude Chabrols "Im Herzen der Lüge" (1998). Zwei Meisterwerke drehte sie mit Mimmo Calopresti: In "La Seconda Volta" (1995) war sie die ehemalige Terroristin, die auf ihr Opfer (Nanni Moretti) trifft. Zwei Jahre später konnte man sie als hypersensible Frau in dem grandiosen Ensemble-Film "Ist Liebe nur ein Wort?" (1997) bewundern. Die etwas piepsige Stimme (selbstverständlich nur im Original) ist weit vom Niedlichen entfernt und hat eine Spannweite von Verzweiflung bis Macht.

Um doch noch zum Film - ihrer ersten Regie - zu kommen, muss man wieder zurück in die Biographie gehen, zu der reichen, kulturell gebildeten italienische Industriellenfamilie, in die sie 1964 geboren wurde. Denn von dem Elend, reich zu sein, erzählt der wunderbar eigensinnige und begeisternd unzeitgemäße Film: "Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes kommt", so steht es im Matthäusevangelium und so schmerzhaft fühlt es Federica (Valéria Bruni-Tedeschi) jeden Tag. Sie hat alles, was man sich wünscht: Viel Geld, ein großes Talent als verkannte Theaterautorin, eine Schwester, die sie nicht ertragen kann, eine nervige Mutter und eine anständige sozialistische Lebenshaltung. Nur die nimmt ihr niemand ab, vor allem nicht ihr Freund Philippe, mit dem sie im Jaguar durch Paris fährt und aus vollem Herzen die Internationale schmettert. Jetzt liegt ihr geliebter Vater im Sterben, derjenige, der sie immer vorzog und damit den Hass der Schwester erzeugte. In Erinnerungen läuft eine extreme Kindheit ab, mit Entführung und Flucht aus Italien nach Paris ...

Valéria Bruni-Tedeschi bezeichnet "Eher geht ein Kamel ..." selbst als Selbstporträt, als die Geschichte einer Frau, die von ihrem Vater zu sehr geliebt worden ist. Valérias Mutter spielt sich selbst, Valéria spielt Federica, Valérias Vater starb 1996.

Doch das braucht man eigentlich gar nicht zu wissen, es genügt, Federica/Valeria empfindlich, verlegen, hektisch, ausgelassen, betrübt mitzuerleben, um diesen Film zu lieben. Bewundern muss man den wachen Verstand, der solch ein geistreiches und gleichzeitig gefühlvolles Drehbuch (zusammen mit der eng vertrauten Regisseurin ls  Noémie Lvovsky schrieb. Und die Lernfähigkeit bei der Arbeit mit vielen berühmten Regisseuren, die es Valéria Bruni-Tedeschi gleich beim Debüt ermöglicht, einen rundum stimmigen Film zu realisieren. Das bedeutet bei ihr selbstverständlich nicht, dass es ein glatter Film ist - im Gegenteil. Die Zweifel, das Auf und Ab bestimmen die Erzählstruktur, lassen mitfühlen und -erleben, wie es ist, reichlich unglücklich zu sein. Ganz nebenbei hat dieses feine, anrührend komisch und seltsam rührende Meisterwerk noch eine ganze Reihe anderer exzellenter Schauspieler wie Valéria Filmschwester Chiara Mastroianni, Jean-Hugues Anglade, Lambert Wilson und Yvan Attal. Aber die würdigen wir, wenn sie auch so eine sagenhafte Erstregie abliefern!


Eine Kritik von Günter H. Jekubzik

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