Desperate Measures
USA 1998 (Desperate Measure) Regie Barbet Schroeder, 100 Min.
Die letzten Filme des französischen Amerikaners Barbet Schroeder waren thematisch immer packend. Ob "Die Affäre der Sunny von B." (1990) juristisch und moralisch (mit Jeremy Irons und Glenn Close) ausgeleuchtet wurde oder "Davor und danach" (1995) Meryl Streep und Liam Neeson als Eltern mit dem möglichen Mord ihres Sohnes konfrontierte - Schroeders Filme sind angelegt auf einem schmalen Grat menschlicher Extremsituationen. Nur lagen sie nicht immer im Geschmack des großen Publikums, auch wenn "Kiss of Death" (1994) mit Nicolas Cage und David Caruso vordergründig "nur" ein exzellenter Gangsterfilm war. Nun inszenierte Schroeder die verzweifelten Maßnahmen einer Vaters ("Desperate Measures") ähnlich spannend wie 1992 "Weiblich, ledig, jung sucht ...", wobei die Thematik dieses ungemein packenden Thrillers sogar theologisch-philosophische Bereiche berührt.
Schon von Anfang an reizen Schroeder und sein Kameramann Luciano Tovoli das Auge: Schräge Titel schleichen sich durchs Dunkel und sind noch spannender als der Rest. Denn der FBI-Agent Frank Connor bricht gerade in den Computer seiner eigenen Behörde ein. Connors Sohn Matthew (Joseph Cross) kann nur mit Hilfe eines passenden Knochenmarkspenders überleben. Und ausgerechnet der extrem rücksichtslose, noch im Gefängnis tödliche Mörder Peter McCabe (Michael Keaton) stellt die einzige Hoffnung dar. Doch was soll man einem reuelosen Killer bieten? Wie kann man den eiskalten Zyniker zu einer Lebensrettung bewegen?
Der extreme Ansatz des Films ist schnell klar. Von nun an versuchen Connor und McCabe, zwei rücksichtslose Menschen, ihre Ziele mit- und gegeneinander durchzusetzen. McCabe nutzt die Überführung in ein Krankenhaus zur Flucht, obwohl er ebenso martialisch gefesselt daherkommt wie einst Hannibal Lector in "Das Schweigen der Lämmer". Die aufwendigen, unappetitlichen Vorbereitungen des verblüffend intelligenten Häftlings sind geprägt von einem brutalem Umgang mit dem Körper - mit seinem und dem anderer! Frank Connor hingegen sorgt sich sehr um McCabes Wohlergehen, denn ein Toter wäre als Knochenmarkspender nutzlos. So kommt seine kluge und verbissene Verfolgung nie ganz zum Ziel.
"Wieviel Menschen müssen heute noch sterben, nur damit dieses Kind am Leben bleibt?" fragt Franks Vorgesetzter irgendwann zu recht. Dabei erweist sich der zehnjährige Matthew selbst als besonnener und gefaßter Kranker, der seinem Vater vorhält, DIESER könne sich nicht mit dem Tod abfinden! Und nur Matthews Gespräche bringen Unsicherheit und Irritation in das ansonsten zynisch abgebrühte Gesicht der flüchtigen Mörders. So kommt die schneidende Spannung ohne den naheliegenden Griff zur melodramatischen Aufweichung aus.
Die Szenerien eines alten Krankenhauses und einer High-Tech-Klinik ergänzen sich zum perfekten Action-Terrain. Dazwischen gleicht die sehr hilfsbereite Ärztin Dr. Samantha Hawkins (Marcia Gay Harden) aus. Doch in der Architektur der Seele spielt sich die packendste Entwicklung ab: McCabe sagt anfangs, er sei ein Atheist, glaube nur an den eigenen Verstand, aber das Stichwort "Vergebung" fällt bald in dem Besuchsraum, der so sehr einer nüchternen Kathedrale ähnelt. Und letztendlich bleibt die ganze Flucht, die Verfolgung, die Aktion nebensächlich. Der Schlüssel ist die entscheidende Frage: Gibt es eine Vergebung?
Eine Kritik vonGünter H.Jekubzik
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