The Addiction

USA 1995 (The Addiction) Regie Abel Ferrara, 82 Min. OmU

Von Günter H. Jekubzik

Mit grausigen Bildern des Vietnamkrieges beginnt ein weiterermoderner Vampirfilm. "The Addiction" fährt aber keinesweg aufder komödiantischen Schiene wie zuletzt Eddy Murphy als"Vampire in Brooklyn"oder "Bloody Marie" von JohnLandis.

Die Abhängigkeit (das meint das englische "Addiction") vomBlut Anderer, stellt existenzielle Fragen zu Schuld, Verantwortungund Erlösung. Es ist eine junge Philosophiestudentin, die in dennächtlichen Straßen New Yorks von einer Frauüberfallen und in den Hals gebissen wird. Zunächst istKathreen schockiert wie andere Opfer von Gewalttaten. Als nach Tagenkeine Besserung eintritt, vermuten die Ärzte eine chronischeBlutarmut, die durch den Schock ausbrach.

Kathreen schwankt verstört durch die Stadt, saugt sich miteiner Nadel das Blut eines Obdachlosen heraus und injeziert es inihren Arm. Der Bluthunger treibt sie in die Nacht, in die Näheanderer Junkies. Kathreens Philosophiedozent muß als einer derersten dran glauben. Dann behauptet eine Anthropologin: "Der Menschist Maß aller Dinge" bevor auch sie gebissen wird. Kaltherzigverzweifelt verlangt Kathleen den Existenznachweis des Guten,ansonsten wird sie den Nächsten anstecken.

Die Begegnung mit einem erfahrenen Vampir (Christopher Walken ineiner unfassbar guten Rolle) hebt die Begierde (The Hunger) Kathleensauf eine andere Ebene. Er saugt sie aus und lehrt sie, wie der Willeden Hunger kontrollieren kann: "Die Ewigkeit dauert lange,gewöhn' dich dran." In diesem Zusammentreffen treibt RegisseurFerrara die Intellektualität seiner Halbwesen auf die Spitze:Hier ein Hinweis auf"Naked Lunch"von Burroughs; Nietzsche, Sartre und Beckett sind existenzielleWeggefährten der Nachtgestalten. "Baudelaire, das ist keineFiktion ..."

Nun macht Kathleen ihren Doktor in Philosophie. Sie redet jetztbeherrscht leise und heiser wie Walken. Die Prüfungsfeier mitvielen blutsverwandten Vampiren und ein paar Gästen "zum Essen"gerät zur bestialischen, schrecklichen Blutorgie. Doch derRausch stürzt Kathleen in den siebten Kreis des DanteschenInfernos. Ihr erschütterndes Leiden flüstert denTodeswunsch empor während unschuldiger Kindergesangaußerhalb des Bildes klingt. Vom Kreuz oberhalb des Bettessenkt sich tödliches und erlösendes Licht herab - einegeniale Szene voller Kraft, Ehrfurcht und Lichtwirkung. Aber dieRettung zum "ewigen Leben" erfolgt erst später - oder nicht. Wiedieser Begriff in diesem Film bleibt auch das Ende offen.

Schuld und Vergebung - die Umsetzung im Vampirfilm könnteBlasphemie sein, aber Abel Ferrara nimmt die Fragen zu ernst, dieseine Filme stellen. Er ist einer der provokantesten Regisseureunserer Zeit, der mit seinen Themen die menschliche Seele und denGlauben tief aufwühlt. Sein"Bad Lieutenant" HarveyKeitel schockte - nicht wegen der Vergewaltigung einer Nonne, sondernwegen des ermittelnden Lieutenants. Sein tief verdorbenes Leben wirdmit härtestem Katholizismus konfrontiert.

Allein der Sound von "The Addiction" ist ein Genuß, mitseinem groovigen und harten HipHop. In diesem Meisterwerk ist auchalles andere bemerkenswert: Von der Grundidee über die einzelnenSzenen, die exzellente Schwarz-Weiß-Gestaltung der Bilder biszu den Schauspielern. Lili Taylor (she Shot Andy Warhol) gibt alsKathleen alles, wie es Ferrara immer von seinen Darstellern fordert.Der weitgehend biographische "SnakeEyes" mit Madonna und Harvey Keitel als Regisseur zeigte dies.Taylor krümmt sich unter den Zuckungen einer Abhängigen, umdann wie ein wildes Tier ihren Biß in den Nacken deshilfreichen Passanten zu versenken. Die üblichen Erscheinungendes Vampir-Films wie Abneigung des Sonnenlichts, das Verschwinden desSpiegelbilds, die übermenschlischen Kräfte, derkörperliche Verfall spielen jedoch nur vordergründig eineRolle im intellektuellen und sehr tiefgründigenHorrorstück.

Mit Anspielungen auf AIDS oder der Sucht nach harten Drogen ist"The Addiction" vielschichtig. Doch das bekannte Hauptthema Ferrarassteht wieder im Zentrum: "Schuld ist ewig, es gibt keine Vergebung"behauptet Kathleen. Die Taten des Holocaust lassen sich nichtabschütteln: "Wir sind schlecht, nicht weil wir Schlechtes tun,sondern weil wir schlecht sind."

PS: Vielleicht bringt Senator bald doch noch den ästhetischund athmosphärisch genialen "Nadja" von Michael Almereydaheraus. Die von Hal Harteys Filmen bekannte Elina Löwensohnspielt in dem wirklich düsteren Vampirfilm die dominantenHauptrolle.

Spiegelgeschichte


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