THIS IS NOT A LOVE SONG

KEINE LIEDER ÜBER LIEBE

Kino ist da, um Geschichten zu erzählen. In letzter Zeit sucht es sich diese zunehmend im wahren Leben. Mit dem Anbruch der digitalen Revolution, Kameraequipment, das immer handlicher wird und der daraus entstandenen Möglichkeit selbst mit geringem Aufwand und Budget in die Lichtspielhäuser zu kommen, werden auch die filmischen Experimente immer gewagter. Lars Kraume, Jahrgang `73, ist einer, der diese Möglichkeit nutzt, um neue Wege zu gehen. Geboren in Italien und aufgewachsen in Frankfurt am Main, hat er sich in der Werbefotografie und mit diversen Tatortfolgen das klassische Handwerk angeeignet, daneben aber auch mit zahlreichen Kurzfilmen verschiedene Techniken ausprobiert. Sein erster Schritt in eine neue Richtung war das vor zwei Jahren vom Jetzt-Magazin initiierte Filmexperiment „Kismet – Würfel dein Leben“, bei dem er ein Radiomoderatorenpaar auf Reisen schickte. Die Richtung bestimmte der Würfel. Heraus kam eine ungemein spannende Realfiktion, die im letzten Jahr auf dem Münchener Filmfest gefeiert wurde.

„Kennst du zwei Leute, die sich wirklich nah sind?“ (Andy Warhol) 

Angeregt durch eine Warhol-Anekdote wollte Kraume mit seinem neuen Film einer Frage auf den Grund gehen: „Wie gut kennt man die Menschen, mit denen man sein Leben verbringt?“ Jürgen Vogel, mit dem er bereits die Komödie „Victor Vogel – Commercial Man“ gedreht hatte trat mit dem Wunsch, einmal einen Musiker zu spielen an Kraume heran und so entspann sich die Geschichte um Markus Hansen und seine Band. Die Idee: drei Schauspieler sollten mit vier Musikern zusammentreffen und auf Reisen gehen. Es gibt zwar ein grobes Drehbuch, doch Ereignisse und Dialoge sollten sich selbständig entwickeln. Alles, was Vogel, Florian Lukas und Heike Makatsch für die Entwicklung ihrer Figuren hatten, waren die Biographien ihrer Figuren und eine Ausgangssituation.

„Niemand ist gern allein, wenn ein Krieg ausbricht. Niemand ist gern zu dritt, wenn eine Träne fließt.“ (Hansen)

Es geht um die Beziehung zwischen Markus (Vogel), seinem Bruder Tobias (Florian Lukas) und dessen Freundin Ellen (Heike Makatsch). Vor etwas mehr als einem Jahr ist zwischen den Brüdern etwas zerbrochen. Tobias wollte Ellen damals seinem Bruder, der wichtigsten Person in seinem Leben, vorstellen und reiste mit ihr nach Hamburg. In diesen Tagen ist irgendwas zwischen ihr und Markus geschehen, das seitdem unausgesprochen im Raum steht. Als Tobias ein Tourplakat von Markus’ Band Hansen sieht, beschließt er, einen Dokumentarfilm über die Band zu drehen und Markus mit seiner Vergangenheit zu konfrontieren. Doch aus seinem Filmprojekt wird eine masochistische Konfrontation, als Ellen den Tourbus betritt. Weder die Musiker, noch Markus sind sonderlich begeistert, eine Frau mit dabei zu haben. Tobias sieht derweil seine Befürchtungen bestätigt, denn Ellen fühlt sich offenbar zu Markus hingezogen. So entwickeln sich Diskussionen über Liebe, Beziehungen, Fremdgehen und Ehrlichkeit, bis das Unaussprechliche schließlich zur Aussprache kommt.

Alles ist ungeplant, spontan an Lars Kraumes Filmexperiment. So auch die Schlüsselszene. „Es war ein langer Abend und wir entschlossen uns, für heute Schluss zu machen“, erinnert sich Kraume. „Wir wollten Ellen und Markus nur noch mit der Kamera bis zu ihren Zimmern begleiten, als sie auf Tobias trafen und sich die Diskussion entwickelte. Da wusste ich: das ist es. Leider musste ich mit einem Blick auf die Kamera feststellen, das wir nur noch vier Minuten Film hatten. Am nächsten Morgen kam Jürgen (Vogel) zu mir und wollte die Szene wiederholen. Er hatte an dem Abend ja auch schon ganz schön was getrunken. Aber ich überzeugte ihn davon, dass die Szene gut gelaufen war.“ Insgesamt sind es 150 Stunden Material geworden, die die drei Kameras in den drei Wochen aufgezeichnet haben. 6 Wochen dauerte allein die Sichtung des Materials, fast 9 Monate der Schnitt. Nichts wurde wiederholt, alles ist echt – aber dennoch gespielt. Alle Beteiligten reagieren so, wie es ihre Rollen würden. 3 Wochen Psychotrip unter ständiger Beobachtung.

„Wenn du, Jürgen, noch mal so rumspringst, trete ich dir von hinten in die Knie. Wir sind hier nicht bei den Guano Apes!“ (Hansenband im Proberaum)

Die Musiker sind da zugegebenermaßen nur Statisten. Allerdings wichtige, denn „Keine Lieder über Liebe“ ist auch ein Musikfilm. Für den zweiten, wichtigen Part des Films nahm man Kontakt mit dem Hamburger Label Grand Hotel van Cleef auf. Die wiederum sahen das Projekt sicher als willkommene Gelegenheit, ihren Namen unters Volk zu bringen. Zumindest bekommt man den Eindruck, bei der massiven Präsenz des Logos im Film. Die Akteure, Thees Ulmann (Tomte), Marcus Wiebusch (Kettcar), Felix Gebhard, der mit Wiebusch bei Home Of The Lame musiziert und Max Martin Schröder alias der Hund Marie, bekannt durch seine Arbeit mit Olli Schulz, halten sich aber dezent zurück und lassen die Schauspieler „ihr Ding machen“. Aber auch sie wurden nicht vor den Reaktionen des Publikums verschont. Die Band wurde von Anfang an als Hansen beworben, zusammen mit dem Grand Hotel van Cleef-Logo. Um den Abend zu eröffnen spielte Wiebusch zur Einstimmung ein paar Songs auf der Gitarre, bevor dann Hansen auf die Bühne traten. „Natürlich erkannten einige Jürgen Vogel und holten erstmal ihre Foto-Handys aus den Taschen. Aber das hatte keinen Einfluss auf die Stimmung. Und manchmal lief es eben auch nicht ganz so gut, wie erhofft“, erzählt Kraume. So ist das im Rock’n’Roll-Business.

Und auch das filmische Ergebnis rockt ganz schön. Zumindest wirft es Fragen auf, bricht mit filmerischen Konventionen und ist ganz schön wahrhaftig geworden. Jeder, egal ob die eigene Beziehung aktuell oder in Erinnerung ist, wird sich in einigen Momenten des Films wieder finden – und das ist mehr, als der ganze geschriebene und inszenierte Schmuh, den wir aus Hollywood gewohnt sind, vermag.

 

„Keine Lieder über Liebe“ wird einen medienübergreifenden Marketingtross nach sich ziehen, der aber ausnahmsweise mal Sinn macht:

Zum Filmstart erscheint die CD der Hansen-Band mit den Singles „Baby Melancholie“ und „Kamera“ natürlich bei Grand Hotel van Cleef über Universal. Hierzu wird es eine kleine Tour geben, die aber vermutlich nur die Großstädte erreichen wird.

Von Heike Makatsch kommt „Ellens Tagebuch“ über KiWi in den Handel. Eine Lesereise ist für Oktober/November geplant.

Weitere Infos unter www.keinelieder-derfilm.de

Keine Lieder über Liebe

D 2005 R: Lars Kraume mit Florian Lukas, Jürgen Vogel, Heike Makatsch 98 Min. FSK ab 6

Eine Kritik von Lars Tunçay

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